Gentile (1875-1944) war einer der bedeutendsten Denker und Bildungspolitiker Italiens. Der Philosoph des Neoidealismus war Anhänger von Benito Mussolini und auch sein Bildungsminister.
Für das faschistische Italien begründete er eine neue und für ihre Zeit ziemlich moderne Form der Bildungspädagogik. 1944 wurde Giovanni Gentile ermordet.
Nicht mehr willenloser Gehorsam sollte das italienische Schulsystem dominieren, sondern eine Erziehung zu einem freien und laizistischen Menschen. Ein Bildungsideal, in dessen Zentrum die Wissensvermittlung steht. Gentiles Schulreform existiert noch heute in Italien.
Italiens vielseitiges Gedenken
Italien ehrt Gentile zu seinem 80. Todestag. Mit Ausstellungen, Symposien, Fernsehdokumentationen, Büchern und einer eigenen Gedenkbriefmarke der italienischen Post.
Treibende Kraft dieses Gedenkens ist die italienische Mitte-Rechts-Regierung unter der ehemaligen Neofaschistin Giorgia Meloni. Ihr Kulturminister, aber auch andere regierungsnahe Kulturpolitiker und Historiker, würdigen Gentile als Philosophen der Tat, für den das Denken immer auch ein Handeln beinhalten musste.
Der Ideologe Gentile
Gentiles philosophischer Ansatz machte aus ihm einen der entschiedenen Begründer der Ideologie des italienischen Faschismus. Doch das fällt in dem aktuellen Gedenk-Hype unter den Tisch.
Nur am Rande wird erwähnt, dass er im Faschismus den Motor einer moralischen Erneuerung Italiens sah. Gentile war nicht nur ein passiver Mitläufer des Regimes, sondern bis zu seinem Ende ein tatkräftiger Unterstützer der Diktatur.
Giovanni Gentile stand auch zu Mussolini, als dieser 1943 vom faschistischen Rat seiner Regierung gestürzt und einige Monate später von Adolf Hitler als Chef der faschistischen Sozialrepublik in Norditalien eingesetzt wurde.
Vor diesem historischen Hintergrund wurde Gentile 1944 von antifaschistisch-kommunistischen Partisanen ermordet.
Wo bleibt die historische Einordnung?
Das aktuelle italienische Gedenken an Gentile, an sein Leben und Schaffen, stellt seine Person und Handeln in keinen historischen Kontext. Das ist schade.
Dabei wäre genau das auch interessant, um eine vorschnelle Verurteilung zu verhindern. Die Tatsache, dass Gentile einerseits Faschist, aber auch Reformator war und dazu ein bedeutender Intellektueller jener Jahre, ist sicherlich schwer auf einen Nenner zu bringen.
Gerade das macht ihn zu einer der spannendsten Personen des italienischen 20. Jahrhunderts. Die unbestritten faszinierende Komplexität Giovanni Gentiles wird nur von eher linken Intellektuellen und Medien thematisiert. Das offizielle und von der Regierung organisierte Gedenken an Gentile ist deshalb die verpasste Chance einer umfassenden historischen Aufarbeitung.