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Wenn ewige Liebe endet: Geht eine Trennung ohne Drama?
Aus Perspektiven vom 26.10.2024. Bild: ZVG, Collage SRF
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Trennung ohne Drama «Endet eine Beziehung, muss die Liebe nicht vorbei sein»

Wenn lange Beziehungen in die Brüche gehen, wird das schnell als «Scheitern» bezeichnet. Eine Zeitgeist-Forscherin und ein Theologe skizzieren neue Sichtweisen auf Trennungen.

Eine langjährige Beziehung, in der ein Paar womöglich auch noch Kinder grosszieht, sei «eine Riesenleistung», sagt die Hamburger Kulturwissenschaftlerin Kirstine Fratz. Wenn dann nach etwa 15, 16 Jahren eine Partnerschaft auseinandergehe und das als «Scheitern» bewertet würde, werde das dem tatsächlich Gelebten überhaupt nicht gerecht.

Ein fast religiöses Liebesideal

Gesamtgesellschaftlich sei ein romantisches Liebesideal immer noch «sehr wirkmächtig», sagt Fratz. Der Partner, die Partnerin, solle darin zum «Erfüllungsgehilfen» für die «Idee der Vollkommenheit» werden.

Eine junge Frau auf einem Sofa vor bunter Tapete.
Legende: Plädiert für neue Lebensformen der Liebe: Zeitgeist-Forscherin Kristine Fratz. zVg/Kristine Fratz

Als feste Form habe sich dafür die monogame, auf Dauer hin angelegte Beziehung oder Ehe etabliert. Doch wenn die Form wichtiger werde als der Inhalt – eine liebevolle Beziehung, in der sich beide wohlfühlen und entwickeln können –, dann fliege uns das um die Ohren.

Denn das Problem sei, dass das Gegenüber in einem überhöhten Ideal die Funktion habe, eine «konditionierte Ressource» zu werden. Im Sinne von: «Hilf du mir, mich ganz zu fühlen.» Dann komme der romantischen Liebe eine quasi-religiöse Funktion zu.

Und wenn einer diese Rolle nicht mehr einnehmen möchte? Wenn sie merkt, dass der Preis zu hoch wird, sie sich unfrei und immer weniger als sie selbst fühlt? Was, wenn ihm dauerhaft nicht mehr wohl ist, weil er sich nicht so entwickeln kann, wie es ihm entspräche? Dann hagelt es oft und gerne Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Der Grund dafür liege in eben jenem Ideal, sagt Kristine Fratz.

Ernstfall Trennung

Daniel Bogner hat die Erfahrung gemacht, dass eine lebenslang gewählte Beziehung auch zu Ende gehen kann. Als römisch-katholischer Christ kennt er nicht nur das romantische Liebesideal, sondern auch das christliche, das sich vom Bild eines Bundes ableitet, den Gott mit den Menschen schliesst.

Ein Mann im Trenchcoat – gegen eine Säule gelehnt.
Legende: Wenn Wege sich trennen, gebühre den Betroffenen «Anerkennung und kein Verurteilen», sagt der Theologe Daniel Bogner. Er spricht aus eigener Erfahrung. ZVG/Daniel Bogner

Für Daniel Bogner ist es wichtig, dass die göttliche Liebe, die sich in der menschlichen Liebe widerspiegeln könne, wie ein Gleichnis zu verstehen sei. Denn im Gegensatz zur «reinen, vollkommenen, göttlichen Liebe» seien Menschen unvollkommen.

Die Kirche habe aus diesem schönen und guten Bild Recht und Gesetz abgeleitet. Ein System aber, das bei Menschen «viel Leid verursacht» habe, so Bogner. Denn in der römisch-katholischen Lehre ist nicht vorgesehen, dass Ehen auseinandergehen. Denn eine Ehe gilt als von Gott gestiftet, und zwar für alle Ewigkeit.

Anerkennen statt verurteilen

Was aber, wenn es nicht weitergeht in einer Ehe? Dann liegen Interpretationen wie das «Scheitern» nahe. Doch «Liebe kann nicht scheitern» – davon ist Bogner überzeugt und nannte auch sein Buch so. Er wollte einen Kontrapunkt zu dem setzen, was ihm widerfuhr, als er sich aus einer langjährigen Beziehung löste.

Bogner möchte für jene komplexen Prozesse sensibilisieren, in denen sich jemand befinden kann, der seine Beziehung infrage stellt. Er will aufzeigen, dass Liebe grösser ist als spezifische Beziehungen. Weil das Leben ein «abenteuerlicher Weg» sei, die Liebe ein «Wagnis», eine «Wette auf die Zukunft», die niemand vorhersehen kann.

Und wenn sich dann Wege trennen, nicht leichtfertig, sondern nach «einem langen und oft schmerzhaften Abwägungsprozess», dann gebühre den Betroffenen «Anerkennung und kein Verurteilen». Ein gnädiger Blick sei hier im christlichen Sinne angezeigt – und kein strafender.

Schweigen ist auch keine Lösung

All diese Gedanken bettet Bogner einerseits in die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens ein, in dessen Zentrum ein Gott steht, der «selbst die Liebe ist». Andererseits in aktuelle gesellschaftspolitische Debatten, die Liebe in verschiedenen Formen verhandeln. Etwa den Zusammenhang von Lieben und Arbeiten, queeres Lieben oder auch die Instrumentalisierung des Beziehungslebens in einer kapitalistischen Kultur.

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Ihm ist bewusst, dass nun viele ausgerechnet von Kirche und Theologie nichts mehr erwarten in puncto Beziehung, Partnerschaft und Sexualität. Das Christentum solle drei Generationen lang schweigen, habe er schon gehört.

Genau das möchte Bogner nicht – als Mensch und als Theologe. Denn, so ist er überzeugt: Auch wenn die Kirche das Thema «Liebe» oftmals zu schematisch behandelt und Menschen ausgegrenzt habe, so lägen im Kern der biblischen Botschaft Quellen, Ressourcen, die hilfreich sein könnten auf der Suche nach dem eigenen, stimmigen Weg. Einem Weg, der lebendig ist und lebendig macht. Der befreiend ist, statt durch Dogmen einzuengen.

Die Liebe transformieren

«Wenn eine Beziehung endet, dann muss die Liebe damit nicht vorbei sein», sagt auch Kirstine Fratz, die Zeitgeist-Forscherin. Bestenfalls ändere sie nur ihre Form. Besonders, wenn Kinder im Spiel seien, gelte es, die Beziehung zu transformieren.

Sie selbst habe schon erlebt, wie gut und heilsam es sein könne, wenn beide die Ansprüche aneinander losliessen. «Dann ereignet sich das eigentliche Liebeswunder», so Fratz.

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Der Paradigmenwechsel ereigne sich vor allem in der eigenen Haltung. Wer sein Gegenüber aus der Rolle der «konditionierten Ressource» freilasse, könne fragen: «Was brauchst du, damit dir wohl ist?»

So wird der Blick frei für neue Formen, in denen die Liebe sich entfalten könne. Veränderung dränge in ein «leeres Feld der Sehnsucht», so hat es die Forscherin jahrelang beobachtet. In diesem «leeren Feld» entwickelten sich dann neue Ideen, Konzepte, ja Lebensformen; diese hätten auch die Funktion, dass Menschen sich erholen könnten von herrschenden Bedingungen.

In dem Sinne versteht sie den Zeitgeist als eine dynamische Kraft, die immer wieder fragt: «Ist es noch gut, so wie es ist? Oder was müssen wir ändern, damit es für möglichst viele Menschen möglichst gut ist?» Hält man sich also an die Kulturwissenschaftlerin und den Theologen, entsteht der Eindruck: Heiliger Geist und Zeitgeist liegen erstaunlich nahe beieinander.

Buchhinweis

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Daniel Bogner: Liebe kann nicht scheitern. Welche Sexualmoral braucht das 21. Jahrhundert? Herder Verlag, 2024.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 27.10.2024, 9:03 Uhr

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