Wednesday Martin war glücklich verheiratet und sexuell gelangweilt. Sie wollte herausfinden, ob mit ihr etwas nicht stimmt. So fing die Sozialforscherin an zu graben, wühlte sich durch wissenschaftlichen Daten, sprach mit vielen Expertinnen und mit noch mehr Frauen über ihre intimen Erfahrungen. Dabei machte sie, wie sie gerne betont, erstaunliche Entdeckungen.
Die untreue Frau
Die Annahme, dass Männer einen stärkeren Sexualtrieb haben als Frauen, hält sich beharrlich im Populärwissen. Dass Frauen eine behagliche und gefühlsbetonte Langzeitbeziehung brauchen um sexuell aufzublühen auch. Dass Frauen aber begehren und betrügen, das macht die Menschen rasend.
Der untreuen Frau haften noch immer Stigmas an. Sie wird gerne pathologisiert. «Wir sagen, dass mit ihr etwas nicht stimmt, dass sie emotionale, psychologische Probleme oder gar physiologische Probleme haben muss», sagt Martin. «Wir finden es unmoralisch und asozial.»
Das sei nicht fair, findet die Autorin und räumt in «Untrue» auf mit dem Mythos des zurückhaltenden weiblichen Sexualtriebs.
«Männliche Sexualforscher, Autoren und Wissenschaftler erzählen uns seit Jahrhunderten die Geschichte der weiblichen Sexualität. Da gibt es viel falsches Wissen.» Mit ihren Nachforschungen versucht sie die Mär der sexuell passiven Frau aufzudecken.
Langeweile in der Monogamie
Mit freudiger aber nachdrücklicher Vehemenz bringt Martin ihre Kernthese hervor: «Die Daten zeigen, dass Frauen in der Sexualität einen grösseren Wunsch nach Neuheit und Vielfalt haben als Männer. Dass Monogamie für Frauen schwieriger zu leben ist. Dass Frauen sich in langfristigen monogamen Beziehungen schneller langweilen als Männer.»
Denn, fällt die ökonomische Abhängigkeit und Stigmatisierung der untreuen Frau erstmal weg, blüht das weibliche Verlangen regelrecht auf.
«Wird den Frauen die Angst genommen, dass sie beschämt oder verlassen werden von ihrem Mann, ist die weibliche Sexualität genauso autonom, aggressiv und abenteuerlustig wie die männliche.»
Mit Seitensprüngen Ehen retten
Mit dieser Erkenntnis will Martin jetzt Ehen retten. «Wenn wir Menschen in langfristigen heterosexuellen Lebenspartnerschaften sagen, dass es für Frauen normal ist, sich zu langweilen und dass sie deshalb nicht weniger sexuelle Wesen sind, sondern einfach nur etwas mehr Abwechslung brauchen, könnten wir viele Ehen und langfristige Beziehungen verbessern.»
Die Sozialforscherin will, dass Frauen ihre Sexualität hinterfragen. Dass sie das Gefühl bekommen, ein Recht zu haben, ihr Begehren auszuleben. Dass sie darüber nachdenken, wen und wie sie begehren. Ihr Plädoyer für den weiblichen Seitensprung soll hierzu animieren.
Was Frauen wollen
Es ist höchste Zeit, dass sich Frauen vom sexuellen Objekt zum Subjekt machen. «Seit #MeToo stehen wir an einem gesellschaftlichen Wendepunkt», sagt Martin. «Jetzt, da wir der Welt klargemacht haben, was Frauen nicht wollen, können wir endlich darüber reden, was sie wollen. Es ist ein revolutionärer Moment.»
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 29.01.2020, 22:25 Uhr