Schlagzeilen lauten «Trump wettert» oder «Biden stolpert». Kaum aber liest man von «Joe», geschweige denn von «Donald». Aber: «Kamala lacht», «Kamala tanzt», «Kamala posiert». Adieu Nachname bei Politikerinnen?
«Ja, diese Tendenz habe ich beobachtet», sagt Sprachwissenschaftlerin Jana Tschannen von der Universität Basel. «In den sozialen Medien gab es Diskussionen, wo User forderten, Kamala Harris solle auch mit ganzem Namen adressiert werden», so Tschannen.
Jana Tschannen forscht unter anderem zu Genderlinguistik. Sie sagt: «Wenn es vorkommt, dann benennen wir als Gesellschaft immer noch eher Frauen nur mit Vornamen statt Männer». Das liege an Geschlechterstereotypen, die wir verinnerlicht hätten.
Angie, Mutti und «das Merkel»
Tschannen fokussiert sich auf deutsche Politik. Das berühmteste Beispiel in Sachen Namenskreationen heisst Angela Merkel. Nicht nur wurde die ehemalige Bundeskanzlerin mit Angie angeredet, es folgten Spitznamen, die von Mama Merkel, über Mutti bis hin zu «das Merkel» in den sozialen Medien reichten.
«Das ist ein Phänomen, das wir nur für Frauenbezeichnungen kennen: wenn aus dem Femininum das Neutrum wird», erklärt Tschannen. «Der Wechsel vom Femininum ins Neutrum wirkt degradierend. Generell sind Frauenbezeichnungen im Neutrum eher negativ, wie etwa ‹das Flittchen›.»
Alles Strategie?
Das Eine ist: Wie werden Kandidatinnen von Medien oder von der Öffentlichkeit bezeichnet. Das Andere: Mit welchen Namen machen die Kandidaten selber Wahlkampf. «Es ist auch Strategie, dass Kamala ihren Vornamen nutzt», vermutet Tschannen.
«Harris wäre die erste Präsidentin in der US-amerikanischen Geschichte. Mit ihrem weiblichen Vornamen grenzt sie sich von ihren männlichen Mitstreitern ab».
Kamala von nebenan
Ausserdem gelten die sozialen Medien als einer der wichtigsten Austragungsorte des Wahlkampfs. Der Ton dort: Du. «Der Vorname kann Nähe ausdrücken», analysiert Linguistin Jana Tschannen: «Kamala: Das klingt nach jemandem, den wir gut kennen. Eine von uns».
So heisst ihr Profil auf X «Kamala HQ» (headquarters). Der offizielle Slogan des Teams lautet «Harris for President». Eine differenzierte Namensstrategie. Nur, ob das aufgeht?
Kamala und die Kompetenz
Tschannen nimmt an, dass der Alters-Faktor in diesem Wahlkampf auch eine Rolle spielt. «Mit dem Vornamen ‹Kamala› assoziieren wir womöglich eine jüngere Person als es bei ‹Harris› der Fall wäre.»
Zugänglich, jünger – aber womöglich auch weniger professionell? Die Strategie ist riskant. «Menschen, die wir nicht persönlich kennen, aber immer beim Vornamen nennen würden, sind Kinder – ihnen wird wenig Kompetenz zugeschrieben.» Aber ob Kompetenz das wichtigste Kriterium ist im US-Wahlkampf? Das sei dahingestellt.
Tschannen glaubt, dass in der Politik die Personalisierung im Vordergrund stehe. Also, dass mit dem jeweiligen Namen eine Bedeutung verknüpft wird. Wie bei «Mutti Merkel» die fürsorgliche Natur, bei «BoJo» (Boris Johnson) das Clownhafte oder bei «der eisernen Lady» (Margaret Thatcher) die Unnachgiebigkeit.
Madam President?
Nebst Kamala Harris selbst setzt auch Gegenspieler Donald Trump bewusst auf ihren Vornamen. Nur um ihn – immer und immer wieder – falsch auszusprechen.
Harris’ Mann rät Donald Trump für die Zukunft: «Ich habe gute Nachrichten für Sie: Nach der Wahl können Sie sie einfach ‹Madam President› nennen.»