Die deutschen Journalisten Stephan Lamby und Klaus Brinkbäumer haben 15 Monate lang den aktuellen Präsidentschafts-Wahlkampf der USA filmisch und schriftlich dokumentiert. Ihr Fazit: Das Land sei «im Wahn» gefangen.
Das Gespräch mit Klaus Brinkbäumer fand in New York, wenige Tage vor der Erkrankung Donald Trumps mit Covid-19, statt.
SRF: Worin besteht der «Wahn» in den USA?
Klaus Brinkbäumer: In der permanenten Verdrehung von Wirklichkeit und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die offen daliegen und trotzdem anders gedeutet werden; in den Verschwörungstheorien, die eine fürchterliche Kraft erlangt haben und über soziale Medien in die Gesellschaft getragen werden; in der Erklärung des politischen Gegners zum Todfeind, der die Vernichtung verdient. Es hat etwas Wahnhaftes oder Manisches, das auf die USA 2020 zutrifft.
Sowohl Fox wie CNN profitieren von der Polarisierung, weil sie ihrem Publikum das liefern, was es will.
Welche gesellschaftlichen Triebkräfte wirken da zusammen?
Heute gelten die Demokraten eher als die Elitären der West- und der Ostküste, die Republikaner als die Partei der entrechteten Weissen innerhalb des Landes. Da hat sich viel verschoben in dieser Gesellschaft. Das hat viel mit Unzufriedenheit und Wut zu tun.
Flankiert wird das von einer Medienwelt, die diese Polarisierung wirtschaftlich nutzt. Sowohl Fox wie CNN profitieren davon, weil sie ihrem Publikum das liefern, was es will.
Worauf gründet Trumps politische Strategie?
Trump lebt von der Wut vor allem der weissen Bevölkerung im Zentrum dieses Landes. Das sind Menschen, die abgehängt wurden, weil sie Arbeitsplätze verloren haben, weil dort ganze Industriezweige geschlossen wurden.
Was steckt hinter Trumps Attacken gegen die Medien?
Trump hat bereits mit Steve Bannon, seinem früheren Berater, die Strategie entwickelt, Medien zu seinem Feindbild zu erklären. Beide hatten gesehen, dass das bei den Anhängern Trumps funktioniert. Dieses ständige Diffamieren und Anklagen sorgt für einen Glaubwürdigkeitsverlust der Medien.
Das Volk johlt nie so sehr, wie wenn Trump die Medien angreift. Das hat er instrumentalisiert.
Ich glaube, dass es ein strategisches Element gibt, das sagten uns jedenfalls Leute im Weissen Haus. Trump nimmt allen Enthüllungen die Kraft, weil er immer sofort sagt: «Fake news, stimmt nicht. Ich hab’s euch gesagt, das sind die Volksfeinde, und die wollen mich weg haben.»
Die gesamte Anhängerschaft Trumps glaubt den medialen Enthüllungen aus reinem Prinzip nicht.
Wieso halten selbst besonnene Republikaner geschlossen zu Trump?
Man kann sich nur wundern, wie diese Partei heute den Präsidenten trägt. Das ist ein Trump-Kult geworden, ein Trump-Verein. Viele Republikaner haben schlicht Angst vor der Wut des Präsidenten und den Effekten, die diese Wut auslöst.
Jeder, der sich innerhalb der Partei gegen ihn wendet, wird von ihm über Twitter bloss gestellt. Trump hat über 80 Millionen Follower. Dann gibt es ein Gewitter, das sich zu FoxNews und den anderen konservativen Medien fortsetzt – und das bedeutet Ausgrenzung aus der Partei.
Wie interpretieren Sie Trumps Haltung in der Frage um Rassismus und Polizeigewalt?
Trump versucht, durch das Schüren von Angst seine Anhänger zu mobilisieren und die Demokraten abzuschrecken und von der Wahl abzuhalten. Er deutet die «Black Lives Matter»-Bewegung in eine Bedrohung der stabilen Verhältnisse der USA um.
Er stellt diese Demonstrationen übersteigert als anarchistischen Flächenbrand dar und sagt, die Demokraten wollten das Land niederbrennen. Das kann funktionieren, weil in den Vorstädten, die im US-Wahlkampf sehr wichtig sind, besorgte Bürger eher konservativ wählen.
Welche Erkenntnis aus diesen 15 Monaten Recherchereise ist die schlimmste für Sie persönlich?
Das amerikanische Wahlrecht sorgt für Ungerechtigkeiten quer durch das ganze Land. Die Minderheit regiert die Mehrheit, das schürt Zweifel an der Kraft der Demokratie.
Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, wie die USA da wieder herausfinden wollen.
Das Traurigste für mich ist, wie destruktiv dieses Land geworden ist, und sich auf diesem Weg immer weiter verrennt. Die USA sind politisch schlicht dysfunktional.
Ich kann nicht erkennen, wie die USA wieder zu einer Konstruktivität finden, wie sie so grosse Probleme wie Klimawandel angehen wollen, wenn sie an den kleinsten Dingen auf diese Art scheitern. Diese Handlungsunfähigkeit finde ich erschreckend. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, wie die USA da wieder herausfinden wollen.
Das Gespräch führten Pascal Derungs und Denise Langenegger.