In einer Pizzeria in Washington D.C. verhaftet die Polizei Anfang Dezember 2016 einen schwer bewaffneten Mann. Er ist überzeugt, dass im Keller der Pizzeria Hillary Clinton und Verbündete einen Pädophilen-Ring betreiben.
Denn solches behaupten ultrarechte Internetseiten unter dem Titel «Pizzagate» wochenlang während des letzten Wahlkampfs. Doch in besagter Pizzeria gibt es weder einen Keller noch misshandelte Kinder.
Kryptische Hinweise in Internetforen
Trotzdem verschwindet die Wahnvorstellung, dass eine satanistische Clique Kinder misshandelt und die Welt beherrscht, nicht: Auf dem Internetforum «4chan» erscheinen im Oktober 2017 wieder entsprechende Botschaften – anonym platziert unter dem Pseudonym «QAnon» – oder Q-Anonymous.
Wer dahinterstecke sei nicht bekannt, sagt Politologie-Professor Joseph Uscinski, Autor des Buches «American Conspiracy Theories». Q, der behauptet, ein hochrangiges Mitglied des militärischen Geheimdienstes zu sein, platziert in Internetforen kryptische Hinweise und Informationsschnipsel.
QAnon-Anhängerin Marjorie Taylor Greene erklärt in einem Youtube-Video: Q stelle vor allem Fragen, sie recherchiere dann, um diese zu beantworten und damit könne sie Ereignisse voraussagen. Bei QAnon arbeitet die Anhängerschaft also quasi mit bei der Aufdeckung der sogenannten Verschwörung.
Damit werde den Anhängerinnen und -Anhängern das Gefühl vermittelt, Teil einer Gruppe von Eingeweihten zu sein, sagt Professor Uscinski: «QAnon ist eine neue Form eines Online-Kults, der durchaus auch religiöse Elemente enthält.»
Viele von Q's Prophezeiungen erwiesen sich zwar als falsch. Doch die QAnon-Anhänger kümmere dies wenig, sagt Uscinski. Denn sie glaubten, Q lege ab und zu absichtlich falsche Fährten, um den Gegner abzulenken. Das immunisiere die Anhängerschaft gegenüber den eigenen Widersprüchen, sagt der Experte für Verschwörungstheorien.
Der Glaube an Q's Unfehlbarkeit stehe am Anfang, so Uscinski. Danach suchten die Anhänger sogenannte Beweise. So ist zum Beispiel eine E-Mail, in der eine Clinton-Vertraute ironisch von einem Hühneropfer im Hinterhof schreibt, für QAnon-Anhängerin Marjorie Taylor Greene der klare Beweis, dass die politische Elite Teufelsanbetung betreibe.
Dass es sich bei ihr um eine republikanische Kandidatin handelt, die im November aller Voraussicht nach ins Repräsentantenhaus gewählt werden wird, sorgte in den USA für einiges Aufsehen.
Aber auch, dass sich Präsident Trump positiv über Greene und über QAnon äusserte: «Ich weiss nicht viel über die Bewegung, abgesehen davon, dass sie mich sehr mögen. Wie ich höre, lieben diese Leute unser Land.»
Trump sieht potenzielle Wähler
Die häufig geäusserte Befürchtung, dass die Republikanische Partei zunehmend von QAnon unterwandert werde, teilt Politologie-Professor Uscinski aber nicht. «Trump erkennt in der Anhängerschaft von QAnon potenzielle Wählerinnen und Wähler, die bisher den Urnen fernblieben.»
Und dieses Wählerpotenzial ist beachtlich: In den Befragungen, die Uscinski seit zwei Jahren regelmässig durchführt, bekennen sich 5 bis 6 Prozent der US-Bevölkerung zu QAnon. Das sind zwischen 15 und 20 Millionen Menschen.