Eine Recherche des Norddeutschen Rundfunks und der «Süddeutschen Zeitung» soll zeigen, dass sich auf Telegram über 100'000 Nutzerinnen und Nutzer in sogenannten Corona-Rebellen-Gruppen austauschen und gegen die Massnahmen der deutschen Regierung mobilisieren. Der Politologe Josef Holnburger war an dieser Recherche beteiligt.
SRF News: Was hat Ihre Untersuchung grundsätzlich ergeben?
Josef Holnburger: Auf der Nachrichtenplattform Telegram konnten wir über die vergangenen Monate beobachten, dass sich dort zunächst Corona-Gruppen gebildet haben. In einem sehr kurzen Zeitraum haben sich deren Mitglieder stark radikalisiert. Das haben wir auf anderen Social-Media-Seiten wie zum Beispiel Facebook oder Twitter nicht in dem Ausmass beobachtet. Und das war interessant, aber eben auch gefährlich und besorgniserregend.
Haben Sie Beispiele?
Es wurden relativ schnell Verschwörungs-Inhalte von anderen Kanälen und rechtsextreme Inhalte geteilt. Da war zum Beispiel QAnon im Spiel. Das ist eine Verschwörungsgruppe, die aus den USA kommt. Sie erzählt, dass es eine geheime Elite gäbe, die Kinder foltern und deren Blut trinken würde.
Wer sind die Leute, die in solchen Corona-Gruppen sind?
Das kann man nur ahnen. Telegram ist anonym. Wir haben aber gesehen, dass sich sehr viele Menschen in einem kurzen Zeitraum dort organisiert haben. Vermutlich waren viele dieser Menschen an den sogenannten Hygiene-Demonstrationen oder an den sogenannten Corona-Rebellen-Demonstrationen, die es in einigen Städten Deutschland. Zuletzt gab es eine sehr grosse Demonstration am 1. August mit etwa 20’000 Teilnehmern in Berlin. Die «Süddeutsche Zeitung» hat anschliessend zwei Personen als Beispiel herausgesucht. Das waren zwei Frauen, die von sich gesagt haben, dass sie vorher wenig politisch aktiv waren. Über die Telegram-Gruppen seien sie stark geprägt und aktivistisch geworden.
Solche Menschen entfernen sich immer weiter vom Diskurs und auch von der Realität. Sie formen sich eine eigene Realität.
Führen denn solche Corona-Gruppen zu einer stärkeren Polarisierung der Gesellschaft?
Ich könnte mir das durchaus vorstellen. Zur Demonstration in Berlin geistern zum Beispiel Verschwörungstheorien herum, dass die Medien bezüglich der Anzahl Teilnehmer lügen würden. Es hätten sich eigentlich 1.3 Millionen Menschen dort beteiligt. Das ist de facto nicht der Fall. Diese Behauptung wird entweder von gefälschten Fotos oder Fotos von anderen Demonstrationen begleitet. Solche Menschen entfernen sich immer weiter vom Diskurs und auch von der Realität. Sie formen sich eine eigene Realität. Umso schwerer wird es, diese Menschen wieder zu erreichen.
Das Gespräch führte Manuel Ramirez.