Der Chefredaktor des Online-Nachrichtenportals Oda TV sass schon einmal in Untersuchungshaft, anderthalb Jahre lang. Seit diesem Frühjahr sitzt Baris Pehlivan wieder im Gefängnis, diesmal wegen der Berichterstattung über einen türkischen Geheimdiensteinsatz in Libyen. Mit einer Videobotschaft aus dem Gericht verabschiedete er sich bei seiner Festnahme von seinen Lesern. «Ich soll wieder dafür büssen, dass ich journalistisch arbeite.»
In Presse und Rundfunk der Türkei regt sich ohne Erdogans Erlaubnis kein Blatt mehr.
Aber er lasse sich nicht einschüchtern: «Macht euch keine Sorgen, ich komme irgendwann wieder raus.» Mit einem Smartphone wurde seine Botschaft von seinen Kollegen aufgezeichnet und auf Youtube hochgeladen. So erreichte sie die Öffentlichkeit, obwohl die meisten herkömmlichen Medien längst von der Regierung kontrolliert werden. Dieses Schlupfloch mache Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zu schaffen, sagt der Journalist Rusen Cakir.
Er hat mit der Internetplattform Medyascope ebenfalls ein alternatives Medium geschaffen, das der Zensur bisher entgeht. «Erdogan hat die erdrückende Mehrheit der traditionellen Medien unter seine Kontrolle gebracht», sagt Cakir. «In Presse und Rundfunk der Türkei regt sich ohne seine Erlaubnis kein Blatt mehr. Und dennoch reicht es nicht.»
Erdogans Debüt auf Youtube floppt
Die sozialen Medien sind ein Problem für Erdogan. Kürzlich versuchte er sich selbst an einer Youtube-Aktion. «Begegnung mit der Jugend» nannte er sie, und sie ging gründlich daneben. Wegen einer Flut von spöttischen Kommentaren liess das Präsidialamt die Kommentarfunktion noch während Erdogans Ansprache sperren. Die Nutzer hielten kollektiv den Daumen runter.
Mehr als 400'000 Dislikes erhielt das Video, gegenüber 100'000 Likes. Daraufhin erklärte Erdogan den sozialen Medien den Krieg: «Wir werden jetzt per Gesetz dafür sorgen, dass der Zugang zu den sozialen Medien beschränkt werden kann und dass sie juristisch und finanziell sanktioniert werden können.» Einen Gesetzesentwurf hat die Regierung schon parat.
«Kalte Dusche» für Social-Media-Nutzer
Yaman Akdeniz, Professor an der Istanbuler Bilgi Universität und Experte für Internetrecht, hat die Vorlage, die am Dienstag erstmals im Parlament beraten wird, studiert. «Soziale Medien wie Twitter, Facebook, Youtube, Google, Tiktok, Instagram und was es sonst noch gibt, sollen Vertretungen in der Türkei eröffnen müssen und sich türkischen Gesetzen unterwerfen.»
Ansonsten sollen ihre Dienste so stark gedrosselt werden, dass sie nicht mehr nutzbar sind. Und das sei noch nicht alles, sagte Akdeniz in einem Interview auf Medyascope: «Dem Gesetzesentwurf zufolge sollen ausserdem die Daten aller Nutzer der sozialen Medien in der Türkei gespeichert werden. Das wird auf die Gesellschaft wirken wie eine kalte Dusche», glaubt er.
Ausweichen auf andere Plattformen
«Aus Angst, dass ihre Konten und Daten preisgegeben und sie vor Gericht gestellt werden können, werden die Nutzer keine regierungskritischen Inhalte mehr teilen.» Erdogan hat den sozialen Medien also den Kampf angesagt. Kann er ihn gewinnen? Cakir von Medyascope ist skeptisch.
«Wenn der Staat eine Plattform schliesst, macht eine andere auf. Verbietet man Youtube, taucht eine andere Plattform auf, oder die Leute wechseln zu Podcasts. Das kriegt weder die Türkei noch sonst ein Staat so leicht in den Griff.» Erdogan werde es trotzdem versuchen, meint er. Und daran scheitern.