Die Grünen-Politikerin Claudia Roth wird in Deutschland oberste Kulturpolitikerin der neuen Ampel-Koalition. Der Entscheid gilt als grosse Überraschung. Roth, seit 2013 Vizepräsidentin des Bundestages, arbeitete früher als Managerin der Rockband «Ton Steine Scherben». Die langjährige Parteivorsitzende gilt als eines der bekanntesten Gesichter der Grünen.
Was ist von ihr im neuen Amt zu erwarten? Das haben wir Maria Ossowski, Expertin für deutsche Kulturpolitik, gefragt.
SRF: Frau Ossowski, die Wahl von Claudia Roth habe Sie überrascht, sagen Sie - weshalb?
Nicht nur die Personalie, sondern auch die Partei war unerwartet. Das Amt der Kulturstaatsministerin ist beim Bundeskanzler angesiedelt. Bislang hatten die Kulturstaatsminister immer die gleiche Partei wie die Kanzler. Das ist diesmal anders. Roths Chef Olaf Scholz ist bei der SPD, Finanzminister Christian Lindner bei der FDP. Eine Grüne mit rotem Chef und gelbem Herr des Geldes, das ist kein leichtes Unterfangen.
Claudia Roth kann prima auf die Nerven gehen.
Was qualifiziert Roth für diese Aufgabe?
Ihre langjährige politische Erfahrung und ihre Durchsetzungskraft. Sie hat bislang wenig Kulturpolitik gemacht, aber sie muss die Kulturinstitutionen, die zu ihrem Bereich gehören, schützen und finanzieren. Dazu muss sie sehr gut in föderalen Strukturen unterwegs sein. Kultur ist in Deutschland schliesslich Ländersache. Claudia Roth kann prima auf die Nerven gehen. Sie wird nicht lockerlassen und alles tun, um beste Rahmenbedingungen zu schaffen.
Auch die Clubkultur und die Freie Szene dürften gestärkt werden.
Ist unter ihr ein grundlegender Richtungswechsel in der Kulturpolitik zu erwarten?
Neben der Hochkultur dürften auch die Clubkultur oder die Freie Szene gestärkt werden. Das ist im Koalitionsvertrag so angelegt. Allerdings funktioniert das nur in Abstimmung mit den Bundesländern. Die grossen Leuchttürme wird Roth weiter finanzieren und schützen, etwa die Festspiele in Bayreuth oder die Hauptstadtkultur mit dem Humboldtforum und den Philharmonikern. Das gehört alles zu ihrem Bereich.
Roths Vorgängerin war die CDU-Politikerin Monika Grütters. Was hat sie in ihrer Amtszeit geleistet?
Grütters war eine extrem durchsetzungsstarke Staatsministerin und kulturpolitisch versiert. Sie hat in Berlin das Museum des 20. Jahrhunderts von Herzog & de Meuron durchgeboxt. Das Jüdische Museum hat mit Hetty Berg dank ihr eine kompetente Leiterin gefunden und auch die Berlinale ist gut aufgestellt. Zudem hat Grütters die milliardenschweren Hilfsprogramme für die coronagebeutelte Kulturszene durchgebracht. Sie kann stolz sein auf das Erreichte.
Ein eigenes Kulturministerium hätte die Kultur enorm aufgewertet.
Im Wahlkampf gab es Forderungen nach einem eigenen Kulturministerium. Das gibt es nun nicht. Stattdessen will die neue Regierung aus Grünen, SPD und FDP die Kultur zum Staatsziel machen. Was heisst das?
Dieser Entscheid ist für den Kulturstandort Deutschland sehr wichtig. Weil die Kultur Ländersache ist und von den Kommunen abhängig, droht jetzt durch die leeren Kassen ein Sterben vieler kultureller Einrichtungen. Wenn Kultur aber als Staatsziel im Grundgesetz formuliert ist, kann man Theater, Opern, Museen sowie Chöre und Ensembles nicht einfach als Vergnüngsstätten bezeichnen und wegsparen. Da gibt es jetzt gesetzliche Vorgaben und Schutzmechanismen.
Trotzdem würde ein eigenes Ministerium wie in Frankreich die Kultur in Deutschland enorm aufwerten. Es ist ein wenig schade, dass es bei dieser neuen Regierung nicht geklappt hat.
Das Gespräch führte Irene Grüter.