SRF Kultur: Als jemand, der sich immer wieder für das europäische Projekt eingesetzt hat: Wie sehen Sie den Ausgang dieser der Wahlen in Österreich?
Robert Menasse: Das macht mir wirklich Sorgen. Sebastian Kurz hat gezeigt: Er ist bereit, europäisches Recht zu brechen, wenn es ihm innenpolitisch nützt und wenn er dafür Wählerstimmen bekommt.
Worauf spielen Sie an?
Er hat einmal gesagt, europäisches Recht sei nicht in Stein gemeisselt. Wenn es den Österreichern dient oder in ihrem Interesse ist, dann will er es brechen.
Er hatte schon als Aussenminister eine Sitzungsstimme im Europäischen Rat. Da hat er gezeigt, dass er europäische Gemeinschaftspolitik blockieren kann, um dann zuhause zu sagen: Ihr seht, Europa funktioniert nicht, wir müssen eine nationale Lösung finden.
Das ist kurzsichtig, weil es in Wirklichkeit kein Problem und keine grosse Herausforderung gibt, die national bewältigt werden kann.
Weshalb haben nationalistische Vorstellungen derzeit so viel Zustimmung?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass es schlimm ist, wenn Politiker nicht mehr für ein Programm einstehen, sondern aus einem Programm eine Knetmasse machen, die sie jederzeit ändern können.
Ich fürchte mich auch ein bisschen vor der Stimmung, die uns in Österreich wahrscheinlich die nächsten Jahre begleiten wird. Dieses Triumph-Geheul der Nationalisten, die sagen: die Sozialdemokratie, die Linken, die Staatskünstler, die waren alle viel zu lang wichtig: Jetzt ist es aus mit ihrer kulturellen Hegemonie. Dies wird das Klima in Österreich vergiften.
Ich fürchte mich vor der Stimmung, die uns in Österreich die nächsten Jahre begleiten wird.
Es wird auch europapolitisch zu problematischen Konsequenzen führen, aus einem einfachen Grund: Sie werden kein Problem lösen können. Dann werden die Wähler sagen: Die Nationalisten, die wir jetzt gewählt haben, waren zu wenig konsequent, wir brauchen radikalere Nationalisten. Eine Spirale, die zu immer grösserer rechter Radikalisierung führen wird. Wohin das führt, dass wissen wir, oder sollten wir aus der Geschichte wissen.
Dazu kommt aber eine österreichische Besonderheit: Kurz ist kein Kennedy oder kein Macron: Er wird in Österreich als Jung-Genie angesehen. Wir haben in Österreich mit diesem Typus Politiker nur schlechte Erfahrungen gemacht. Mit Jörg Haider oder mit Karl Heinz Grasser. Jener war auch das Jung-Genie und der Lieblingsschwiegersohn der Republik, und alles hat im Kriminellen geendet.
Kurz ist kein Kennedy oder Macron – er wird in Österreich als Jung-Genie angesehen.
Warum sind diese Jung-Genies, diese prinzenähnlichen Figuren, in Österreich so erfolgreich?
Ich weiss es nicht. Ich bin der Meinung, wenn man einmal Erfahrungen gemacht hat, dann sollte man daraus Rückschlüsse ziehen. Vielleicht stimmt einfach der Satz von Karl Kraus: «Die Österreicher sind das einzige Volk, das aus Schaden dumm wird.»
Eine Spirale ist in Gang gesetzt, die zu immer grösserer rechter Radikalisierung führen wird.
Glauben Sie also, dass der Nationalismus mit fehlendem Geschichtsbewusstsein zu tun hat?
Man braucht ja nicht einmal Geschichtsbewusstsein. Die schlechten Erfahrungen mit diesem Politiker-Typus haben wir in unserer Lebenszeit gemacht. Da muss ich nicht Geschichte studieren, da muss ich mich nur ein bisschen erinnern.
Sind Sie also ernsthaft besorgt, auch um das europäische Projekt, mit dem Sie sich ja in vielen Ihrer Texte auseinandergesetzt haben?
Ja, ich mache mir Sorgen: in Hinblick auf die Möglichkeit, europapolitisch Lösungen zu entwickeln für die grossen Probleme, vor denen wir stehen. Und ich mache mir Sorgen um die Atmosphäre, das Klima, die Stimmung in Österreich, wo ich ja lebe.
Tröstlich finde ich nur, dass Wien wieder einmal gezeigt hat, dass es anders ist. Und letztendlich bin ich Wiener.
Das Gespräch führte Irene Grüter.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 16.10.2017, 17.08 Uhr