Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Nervosität: Etwa 20 Prozent der Schichtarbeitenden haben Schwierigkeiten mit der unregelmässigen Arbeit – sie verabschieden sich aus «persönlichen oder gesundheitlichen Gründen in der Regel im ersten Jahr» von ihrem Job, schreibt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Aber was fällt überhaupt unter Schichtarbeit? Dazu zählt das Seco «jede Arbeit, die von der üblichen Tagesarbeit (08.00–18.00) abweicht», heisst es in einer Broschüre.
Etwa 70 Prozent der Arbeitnehmenden lernen, mit den Belastungen durch die unregelmässigen Arbeitszeiten umzugehen. Etwa zehn Prozent der Nachtarbeitenden «schätzen ihre Gesundheit persönlich als unproblematisch ein».
Zwei, die sich an ihre Schichtarbeit gewöhnt haben, sind Fränzi Gall und Elia Perler. Die Pflegeassistentin und der Kantonspolizist schätzen die Vorteile der unregelmässigen Arbeitszeiten. Auch dank eines Teams, das füreinander sorgt, und dank eines ausgeklügelten Arbeitszeitmodells.
Fränzi Gall: seit 26 Jahren Pflegeassistentin
Früher absolvierte Fränzi Gall in einem Altersheim «geteilte» Dienste. Das bedeutete Einsätze am Morgen und ab dem späteren Nachmittag – und drei Stunden Mittagspause. Das behagte ihr nicht. Denn bei Feierabend um 20 Uhr plus Heimweg war der Abend gelaufen und die Energie erschöpft. «Ich mochte die Arbeit im Altersheim», sagt die 44-Jährige. Doch der Arbeitszeiten wegen hat sie ins Spital gewechselt.
An einem Vormittag unter der Woche in einen Laden zu gehen, wenn die Verkäuferinnen noch nicht gestresst sind, das ist perfekt.
Seit 26 Jahren ist Fränzi Gall in ihrem Beruf tätig. Seit fünf Jahren arbeitet sie im Basler Universitätsspital freiwillig vor allem Nacht- und Spätschichten von 15 bis 23 Uhr. Frühschichten seien schlicht nicht ihre Zeit. Nachmittags aber sei es auf der Station ruhiger, weil weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anwesend sind. Deshalb kann sie sich konzentrierter den Patientinnen und Patienten widmen.
Sie schätzt die Vorteile ihres Dienstplans: «An einem Vormittag unter der Woche in einen Laden zu gehen, wenn die Verkäuferinnen gut gelaunt und noch nicht gestresst sind, das ist perfekt.» An ihren freien Werktagen seien ausserdem die Ausflugsziele nicht so überlaufen wie am Wochenende. So könne sie alles besser geniessen – und eine Kollegin, die gerade auch nicht arbeite, finde sich meist.
Manchmal könnte ich nach der Nachtschicht tanzen gehen – manchmal bin ich erledigt.
Schichtarbeit passt für Fränzi Gall. Auch, weil sie keine Kinder hat. Sie weist darauf hin, dass sich Pflegemitarbeiterinnen, die Mutter sind, nicht selten vom Beruf verabschieden, wegen der Arbeitszeiten. Der Einsatzplan, den sie meist erst einen Monat im Voraus erhält, kann nämlich strapaziös sein. Besonders, wenn man nach vier oder fünf Arbeitstagen lediglich einen Ruhetag hat: «Das ist schlimm. Man kommt nicht zur Ruhe. Man muss an einem freien Tag alles erledigen, einkaufen, putzen und so weiter … Das macht mich kaputt.»
Arbeit an Feiertagen ist die Regel
Zum Glück kämen in «ihrem» Spital derart enge Dienstpläne kaum vor. Um sich zu erholen, brauche sie einfach ihre freien Tage – im Plural.
Das Arbeitsgesetz (Verordnung 1, Art. 30, Abs. 3) hält nur fest, dass nachts Arbeitende maximal in fünf von sieben oder in sechs von neun aufeinanderfolgenden Nächten eingesetzt werden dürfen. Und nach spätestens sieben Tagen ist ihnen eine Ruhezeit von 24 Stunden zu gewähren (Art. 37, Abs. 4). Ein Minimum von zwei Freitagen in Folge sieht das Gesetz jedoch nicht vor.
Viele Menschen können sich nicht in die Arbeitswelt und den Lebensrhythmus von Schichtarbeiterinnen und -arbeitern hineindenken.
An Feiertagen arbeiten? «Ich kenne nichts anderes.» Fränzi Gall ist sich Schichtarbeit gewohnt. Die Arbeitszeiten beeinträchtigen ihr Wohlbefinden kaum. Damit gehört sie zur grossen Mehrheit der Schichtarbeitenden. Manchmal, sagt sie, könnte sie morgens um sieben nach der Nachtschicht tanzen gehen. Manchmal dagegen sei sie erledigt. Wie in einem «normalen» Job.
Müdigkeit zur «falschen» Tageszeit, Schlafstörungen, Hunger mitten in der Nacht? Nein. «Bei der Nachtschicht haben wir allerdings die Gewohnheit, dass alle etwas zu essen mitbringen. Oft nichts besonders Gesundes. Knabberzeug zum Beispiel.»
Behindert Schichtarbeit das Sozialleben? «Auf jeden Fall», sagt Fränzi Gall, deren Eltern ebenfalls Schicht gearbeitet haben. «Ex-Freunde sagten mir schon, die Beziehung sei wegen der Schichtdienste auseinandergegangen.»
Viele Menschen könnten sich einfach nicht in die Arbeitswelt und den Lebensrhythmus von Schichtarbeiterinnen und -arbeitern hineindenken. Dann kämen eines Tages Vorwürfe auf, man habe nie Zeit und arbeite ständig. Ihre Lösung: «Am besten sucht man sich jemanden, der auch in einem Beruf mit Schichtarbeit ist, in der Pflege, im ÖV, oder in der Gastronomie.»
Dennoch hatte die Pflegeassistentin nie eine Stelle mit Büroarbeitszeiten im Sinn. «Das wäre mir zu langweilig. Ich sehe mich in diesem Beruf und in der Schichtarbeit bis zur Pensionierung.»
Elia Perler: Polizist seit fünf Jahren
Auch Elia Perler, seit fünf Jahren Kantonspolizist in Freiburg, mag es, unter der Woche frei zu haben: «Wenn ‹alle anderen› arbeiten, kann ich im Winter auf leeren Pisten Ski fahren. Ich kann an einem Mittwochnachmittag einen Coiffeurtermin vereinbaren.»
Termine abzumachen, sei für Schichtarbeitende viel unkomplizierter. Und natürlich gebe es für die unregelmässigen Einsätze auch finanzielle Zulagen, laut Arbeitsgesetz mindestens zehn Prozent.
Wir kennen unseren Körper nach einer gewissen Zeit und wissen, wann wir was tun müssen, um uns gut zu fühlen.
Den Kantonspolizisten stören die unregelmässigen Arbeitszeiten nicht. Als er sich für seinen Beruf entschied, wusste er, was auf ihn zukommt. Wer neu in die Schichtarbeit einsteige, müsse natürlich zuerst herausfinden, wie er am besten damit umgehe, sagt Elia Perler, «aber wir haben immer den gleichen Rhythmus. Wir kennen unseren Körper nach einer gewissen Zeit und wissen, wann wir was tun müssen, um uns gut zu fühlen.»
Kolleginnen oder Kollegen, denen dieses Arbeitszeitmodell gesundheitliche Probleme bereite, kenne er keine. Schwierig sei es manchmal, regelmässig an Vereinsaktivitäten teilzunehmen, sagt der Polizist, der Fussball spielt. Ausserdem betont der 28-Jährige: «Für Familien mit Kindern ist die Organisation der Familienbetreuung sicher einer der anspruchsvollsten Punkte. Der entkräftet sich bei uns jedoch etwas, da wir Jahrespläne haben und sich alles weit im Voraus klären lässt.»
Die früh zugestellten Dienstpläne bieten Verlässlichkeit. Deshalb weiss Perler im Dezember, ob er am 16. Juni am Fussballtraining oder am 22. Oktober an einem Geburtstagsfest teilnehmen kann.
Perler arbeitet bei der mobilen Einsatzpolizei, jener Einheit, die die Notrufnummer 117 abdeckt – rund um die Uhr, jeden Tag. Das erfordert einen ausgeklügelten Dienstplan. Das von der Kantonspolizei Freiburg entwickelte Modell ist so raffiniert, dass es mittlerweile auch andere Polizeikorps zu grossen Teilen übernommen haben.
Mir fällt auf, dass viele Polizisten eine Partnerin innerhalb der Polizei haben. Vielleicht ist das gegenseitige Verständnis dadurch grösser.
Verplant ist Perler wie seine Kolleginnen und Kollegen dabei nur vier Tage pro Woche: Am ersten erledigt er zu mehrheitlich flexiblen Zeiten Büroarbeit, besucht Weiterbildungen oder ist für ausserordentliche Einsätze eingeteilt, etwa für den Ordnungsdienst. Am zweiten Tag rückt er gegen Mittag aus und arbeitet bis ungefähr 20 Uhr. Der dritte beinhaltet einen Frühdienst bis Mittag und eine Nachtschicht von etwa 20 Uhr bis gegen 7 Uhr am vierten Tag.
Der Rest dieses vierten Tages ist Ruhezeit und dient der Erholung oder in seltenen Fällen der Nachbearbeitung grösserer Fälle der Nachtschicht. Der fünfte und sechste Tag bilden das Wochenende, das indes oft nicht Samstag und Sonntag einschliesst.
Dieses Arbeitszeitmodell – Planwoche mit sechs statt sieben Tagen – lässt die beiden freien Tage «wandern», sodass alle Teammitglieder gleich oft «normal» Wochenende haben. Am siebten Tag beginnt der Turnus von vorn.
Lange Beziehung, trotz Schichtarbeit
Wie wirkt sich dieser Dienst auf Elia Perlers Sozialleben aus? An manchen Aktivitäten unter Freunden könne er wegen der Arbeit halt nicht teilnehmen, sagt er. Stimmt das Krimi-Klischee, dass es Polizeiangehörigen wegen der unregelmässigen Dienste schwerfällt, eine Partnerschaft zu pflegen? Perler lacht. Er denke nicht, dass seine Berufsgruppe in dieser Hinsicht Mühe habe. Er selbst lebt seit bald zehn Jahren in einer Beziehung. Diese hat also begonnen, bevor er erstmals die Uniform angezogen hat.
Ich kann mir zurzeit nichts anderes als diese Schichtarbeit vorstellen.
Weil auch seine Partnerin stets Schicht gearbeitet hat, mussten sie sich ohnehin aufeinander abstimmen. «Mir fällt aber auf, dass viele Polizisten eine Partnerin innerhalb der Polizei haben. Bei einem Korps von 700 Personen ist das natürlich nicht so schwierig. Vielleicht ist das gegenseitige Verständnis dadurch etwas grösser.»
Die erhöhte zeitliche Verfügbarkeit gehöre einfach zum Polizeiberuf. «Wenn das eine Partnerin, ein Partner nicht versteht, so denke ich, dann steht die Beziehung nicht auf guten Beinen. Aber in meinem Arbeitsumfeld habe ich nicht das Gefühl, dass das Privatleben jemandem grosse Probleme bereitet.»
Hat der Kantonspolizist nie Lust auf gewöhnliche Arbeitszeiten? «Nur manchmal», sagt Elia Perler. Doch den ganzen Tag von 8 bis 17 Uhr im Büro verbringen? Das möchte er auf keinen Fall. «Das Unvorhersehbare des Polizeiberufs zieht mich an. Das interessiert mich. Darum kann ich mir zurzeit nichts anderes als diese Schichtarbeit vorstellen.»