Im Kendeng-Gebirge der indonesischen Insel Java weichen Terrassen mit tiefgrünen Reisfeldern bergauf zunehmend karger Vegetation. Zwergbäume, Gebüsch und kleine Maisfelder finden sich zwischen zerklüftetem grau-weissem Kalkstein. Eine typische Karstlandschaft.
Mittendrin tauchen kahl geschabte grau-braune Flächen auf, gelbe Bagger und Schaufellader. Kipper voller Kalkstein donnern über eine nagelneue Asphaltstrasse. Ihr Ziel ist ein silbrig glitzernder Koloss aus Silos, Schloten und Förderbändern: eine Zementfabrik des Unternehmens «Semen Indonesia».
Unterirdischer Wasserspeicher
Auf Java, wo das wirtschaftliche Herz Indonesiens schlägt, wird viel Zement verbraucht – für Häfen, Staudämme, Strassen und Städte. Ein wichtiger Rohstoff für die Produktion von Zement ist im Karstgebirge abgebauter Kalkstein.
Doch «die Zementfabrik bedroht die Existenz zehntausender Kleinbauern», sagt Soeryo Adiwibowo, Umweltwissenschaftler und Verfasser eines Gutachtens zur Zementproduktion im Karstgebirge.
«Der poröse Untergrund der Karste ist durchzogen von Höhlen, die Frischwasser speichern», erklärt der Ökologe: «Aus hunderten Quellen im Kendeng-Karst werden 24'000 Hektar Reisfelder bewässert sowie Anbauflächen für Erdnüsse, Maniok, Obst und Gemüse.» Fehlt dieses Wasser, ist die Ernte von 40‘000 Kleinbauernfamilien in Gefahr.
Weil Karstlandschaften zudem seltene Vogel-, Schmetterlings- und Fledermausarten beherbergen, stehen sie in Indonesien unter Naturschutz. Trotzdem sei ein Viertel der Karste auf Java bereits zerstört, berichtet Adiwibowo.
Die älteste Sozialbewegung Südostasiens
Der Kendeng-Karst gilt als noch weitgehend intakt. Doch Bergbau und Zementproduktion bedrohen das Gleichgewicht. Eine kleine lokale Bauernbewegung hat dagegen Widerstand initiiert: die «Sedulur Sikep», die älteste Sozialbewegung Südostasiens.
Gründer Samin Surosentiko mobilisierte um 1900 Bauern zu friedlichem Protest gegen die niederländischen Kolonialherren. 120 Jahre später existiert die Bewegung noch immer. Ihr führender Kopf ist heute der Bauer Gunretno. Er lebt im Dorf Boturego nahe der Stadt Pati.
«In Harmonie mit Mutter Erde»
Gunretno wartet in seinem Garten. Ein schlanker, vielleicht 50-jähriger Mann in weissem Hemd und halblanger schwarzer Hose, ein versonnenes Lächeln auf dem feingeschnittenen Gesicht. Sein Haus ist ein Kunstwerk aus Holz, Bambus und Ziegeln. Im Innern setzt sich Gunretno unter ein überlebensgrosses Bild Samins.
Dort erklärt er das Selbstverständnis der Sedulur Sikep, der «freundlich Gesinnten», wie sie sich nennen: «Wir sind einfache Menschen, die ihre Bestimmung darin sehen, mit Landwirtschaft ihre Existenz und die ihrer Kinder zu sichern – in Harmonie mit Mutter Erde.»
Friedlicher Protest
2006 richteten die Zementkonzerne Semen Indonesia und HeidelbergCement ihren Blick auf die Kendeng-Berge. Die Sedulur Sikep alarmierten sofort andere Bauern, Wissenschaftler, Politiker und zivilgesellschaftliche Organisationen. Gemeinsam mit ihnen gründeten sie 2011 das «Netzwerk der Menschen, die sich um die Kendeng-Berge sorgen».
Die Bergbaugegner protestierten von Anfang an friedlich, aber entschlossen. Die Protestierenden erstritten Gerichtsurteile, die den Bergbau im Kendeng-Karst immer wieder hinauszögerten und sogar Staatspräsident Joko Widodo beunruhigten.
Juristische Taschenspielertricks
2016 beauftragte Widodo den Ökologen Soeryo Adiwibowo, sein Gutachten zum Ökosystem des Karstes zu erstellen. «Mein Gutachten sagt eindeutig, dass es dort keinen Kalksteinbergbau geben darf», sagt Adiwibowo. «Der Untergrund verfügt über bedeutende und für die Region unverzichtbare Wasservorkommen.»
Dessen ungeachtet hatte der Gouverneur Zentral-Javas Semen Indonesia bereits erlaubt, eine Zementfabrik im Norden des Gebirges zu bauen. Anfang 2017 habe der Oberste Gerichtshof Indonesiens das für rechtswidrig erklärt, berichtet Rechtsanwalt Zainal Arifin, der das Urteil erstritten hat.
«Der Gouverneur empfahl Semen Indonesia, ein geringfügig geändertes Umweltgutachten vorzulegen – auf dessen Basis er eine neue Abbaugenehmigung ausstellen werde», erzählt der Anwalt. Was dann auch geschah.
Kurz: Auf der Basis juristischer Taschenspielertricks betreibt nun Semen Indonesia eine Zementfabrik, die das oberste Gericht verboten hat.
Frauen protestieren mit einbetonierten Füssen
Vorläufig erfolgreicher bekämpft das «Netzwerk der Menschen, die sich um die Kendeng-Berge sorgen» eine von HeidelbergCement geplante Fabrik. Der Konzern, der bereits drei Fabriken in Indonesien besitzt, will nahe der Stadt Pati im Süden des Gebirges jährlich 2,5 Millionen Tonnen Kalkstein abbauen.
Aus Protest gegen die Pläne sassen etliche Frauen 2017 tagelang mit einbetonierten Füssen vor Behörden in Jakarta und vor der Zentrale des Unternehmens im deutschen Heidelberg.
Eine dieser Frauen ist Gunarti, die wie Gunretno Mitglied der Sedulur Sikep-Bewegung ist: Eine schmale Frau mit leuchtendem Blick und natürlichem Charisma, die in einem kleinen Steinhaus am Rande des Dorfes Sikolilo wohnt.
Leere Versprechen?
Am 9. Mai 2017 hat Gunarti in Heidelberg auch mit Bernd Scheifele, dem damaligen Chef von HeidelbergCement, gesprochen. «Die Kendeng-Berge seien die Quelle unseres Lebens, habe ich ihm gesagt. Wir und alle Lebewesen dort hingen vom Wasser der Berge ab.»
Sie habe das Gefühl gehabt, dass Bernd Scheifele ihre Anliegen ernst nahm. «Zum Schluss sagte er, er sei nicht sicher, ob er die Anlage in Pati wirklich bauen werde.»
Dessen ungeachtet verfügt HeidelbergCement inzwischen über eine rechtskräftige Umweltgenehmigung für sein Kendeng-Projekt. Die Abbaugenehmigung sei beantragt und werde derzeit von den zuständigen Stellen in Indonesien geprüft, schreibt der Konzern.