Im neuen Schweizer Dokumentarfilm «Where We Belong» porträtiert Filmemacherin Jacqueline Zünd Kinder, deren Eltern sich getrennt haben. Die Kinderpsychologin Karin Banholzer hat sich den Film angesehen und ist beeindruckt. Sie erklärt, warum Kinder bei Trennungen oft nicht zu Wort kommen. Und warum sie aber genau das sollten.
SRF: Was sind die Hauptschwierigkeiten, denen Sie bei der Arbeit mit Trennungsfamilien begegnen?
Karin Banholzer: Die Hauptschwierigkeit ist tatsächlich die Strittigkeit der Eltern. Sie haben oft Probleme, Lösungen im Sinne der Kinder zu finden. Das belastet die Kinder sehr.
Wie erleben Sie die Kinder?
Unterschiedlich, je nach Alter und Entwicklungsstand. Manche berichten offen von den Problemen in ihrer Situation, andere sind zurückhaltend und wollen bloss nichts Falsches sagen.
Oft ist es den Kindern wichtig, dass es fair ist für die Eltern und sie stellen dann ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Die Kinder sagen: «Ich mag nicht mehr, dass die Eltern streiten». Viele wollen einfach Frieden haben. Manche Kinder wünschen sich, dass die Eltern wieder zusammenkommen. Andere sind froh über die Trennung.
Gibt es emotional einen gemeinsamen Nenner bei Kindern getrennter Eltern?
Im Titel des Dokumentarfilms «Where We Belong» wird er schön beschrieben: Weil jeder Elternteil möglichst viel Zeit mit den Kindern verbringen, Verantwortung übernehmen und es richtig machen will, sind diese oft im Spannungsfeld hin- und hergerissen.
Die Kinder suchen dann nach dem Ort, wo sie hingehören, wenn sich die Eltern getrennt haben. Oft sind es viele Veränderungen, mit denen sie zurechtkommen müssen.
Kinder haben viele Ressourcen, mit diesen Situationen umzugehen. Darin gilt es sie zu unterstützen.
Warum kommen Kinder in Trennungssituationen so wenig zu Wort?
Die eigene Krisensituation der Trennung verstellt oft den Blick der Eltern für die Situation ihrer Kinder. Sie müssen vieles regeln, sind selber emotional sehr beschäftigt. Oftmals sagen sie: «Ich funktioniere nur noch und komme selber an meine Grenzen». Es bräuchte Zeit und Aufmerksamkeit, den Kindern zuzuhören. Die haben Eltern oft nicht.
Warum hat man als Eltern Angst, die Kinder zu fragen?
Viele wollen ihr Kind nicht noch mehr belasten. Manche erzählen den Kindern sehr spät, dass sie sich trennen – aus Sorge, wie die Reaktionen sein werden. Es geht natürlich um viel, um Fragen wie: Wo wollen die Kinder leben? Wie sollen sie betreut werden?
Leiden die Kinder, die zu Ihnen kommen?
Es gibt verschieden Seiten, die Kinder hier zeigen. Häufig sind sie belastet und leiden unter Situationen. Sie berichten oft, dass sie nichts tun konnten, wenn ihre Eltern gestritten haben, dass sie so hilflos waren.
Sie haben aber gleichzeitig viele Ressourcen, mit diesen Situationen umzugehen. Darin gilt es, die Kinder zu unterstützen. Und zu schauen, wie die Eltern ihnen dabei helfen können, selbstwirksam zu sein und sich wieder auf ihre eigenen Entwicklungsaufgaben konzentrieren zu können.
Wie beurteilen Sie den Dokumentarfilm «Where We Belong»?
Ich fand den Film sehr beeindruckend. Es ist enorm, wie die Kinder darin so gut über ihre Gefühle sprechen und berichten konnten, was die Trennung für Veränderungen mit sich gebracht hat. Ich hoffe, dass dieser Film Eltern sensibilisiert und ermuntert, Hilfe in Anspruch nehmen. Dass sie nicht alleine bleiben in diesen schwierigen Situationen und dass sie dann auch den Kindern besser helfen können.
Das Gespräch führte Sandra Steffan.