Start der Wintersession im Bundeshaus: Vor genau 50 Jahren war das für Frauen ein Novum. 1971 nahmen die ersten zehn Nationalrätinnen und die erste Ständerätin im Bundeshaus Platz.
Wie wurden die Pionierinnen empfangen? Noch nicht alle unter der Bundeshauskuppel waren bereit für den Einzug der Frauen – zuerst mussten sie nämlich mal reinkommen: So zum Beispiel die St. Galler SP-Nationalrätin Hanna Sahlfeld-Singer. Ihr wurde am Bundeshaus-Haupteingang zuerst der Eintritt verwehrt, weil an diesem Tag keine Führungen stattfänden.
Einmal drin, sei der Empfang dann aber herzlich gewesen, weiss Nathalie Christen, SRF-Bundeshauskorrespondentin. Sie hat zusammen mit den Journalistinnen Linda Bourget und Simona Cereghetti ein Buch zum Thema geschrieben: «Schweizer Politfrauen».
Und im Saal selbst? Trotz Herzlichkeit: Die offizielle Begrüssung des damaligen Nationalratspräsidenten William Vontobel (LdU) hatte einen fahlen Beigeschmack. Er sagte an die Adresse der Frauen, dass ihr Arbeitseinsatz und ihr Charme sicherlich dazu beitragen würden, in freundschaftlicher Zusammenarbeit Positives zu leisten. «Heute würde sich wohl niemand mehr getrauen, den Charme-Aspekt so herauszustreichen», sagt Nathalie Christen.
Wie hat sich die Atmosphäre seither verbessert? Heute sitzen mit 42 Prozent (Nationalrat) respektive 26 Prozent (Ständerat) so viele Frauen im Parlament wie nie zuvor. Trotzdem: «Auch heute erleben National- und Ständerätinnen, dass sie nicht gleich ernst genommen werden», sagt Nathalie Christen.
So habe ihr die SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer erzählt, wie in der Wandelhalle ein Ratskollege den Arm um sie legte und zu einem Kollegen gönnerhaft sagte: «Ja, es ist halt schon ein herziges. Darum haben wir Ihren Antrag vorher angenommen.»
Oder die ehemalige FDP-Präsidentin Petra Gössi: «Als sie erstmals in den Schwyzer Kantonsrat gewählt wurde, sagte man ihr, sie habe die Wahl nur geschafft, weil man ihren Vater so gut kenne.»
Woran liegt das? Es liegt nicht nur an den männlichen Ratskollegen, dass Frauen noch nicht gleichwertig in der Politik vertreten sind. Nathalie Christen nennt «Hindernisse von innen». «Es fällt auf, dass Frauen sich tendenziell weniger zutrauen als Männer», analysiert sie. So hat CVP-Bundesrätin Viola Amherd einmal gesagt: Frauen sollten nicht meinen, sie müssten perfekt sein. Sie sollten weniger an sich selber zweifeln und auf die eigenen Stärken vertrauen. Den Rest könne man lernen.
Ist Perfektionismus hinderlich? Frauen melden sich zu Geschäften tendenziell erst, wenn sie sattelfest sind. Was wünschenswert ist, kann sich als übertriebener Perfektionismus negativ auf die Sichtbarkeit im Politbetrieb auswirken. «Frauen kommen weniger zu Wort und haben damit weniger Einfluss», sagt Nathalie Christen. Das sei zugespitzt und gelte nicht für alle Politikerinnen.
Selbst ganz oben beobachtet Nathalie Christen Selbstzweifel – etwa bei Ada Mara, Vizepräsidentin der SP aus der Waadt. «Sie zweifelt manchmal, ob ihr dieser Spitzenplatz wirklich zusteht. Man nennt das Hochstaplerinnen-Syndrom.»
Was muss sich ändern? Weniger Perfektionismus würde helfen, ist Nathalie Christen überzeugt. «Einfach mal probieren!» Aber auch bei den äusseren Einflüssen sieht sie Nachholbedarf: Die Parteiverantwortlichen müssten bei den Frauen noch mehr Überzeugungsarbeit leisten. «Dass sich das lohnt, sieht man daran, dass viele heutige Top-Politikerinnen ursprünglich ein Notnagel waren in ihren Parteien.» Etwa die Genferin Céline Amaudruz. Heute ist sie Vizepräsidentin der SVP Schweiz.