Alibi auf Anruf: Das ist das Geschäftsmodell von Stefan Eiben. Gegen Bezahlung erfindet seine Alibi-Agentur Ausflüchte und Auswege.
Dabei geht es nicht nur um Seitensprünge. Seine Agentur fingiert etwa Einladungen zu Workshops, verschickt Postkarten als Zeugen eines gefakten Urlaubs oder erfindet ehrenamtliche Tätigkeiten für Hausfrauen, die sich ungestört mit Freundinnen treffen wollen.
Ein Gespräch über die Alltäglichkeit des Alibis, die Vorzüge des Heimlichen und die Tücken der Moral.
SRF: Wer bucht bei Ihnen ein Alibi?
Stefan Eiben: Es sind überwiegend Menschen zwischen 30 und 50 Jahren. Wir haben aber auch Studenten oder 18-Jährige dabei, die sagen: «Da ist auf Whatsapp etwas Geheimes aufgeflogen» oder «Ich bin homosexuell und möchte mich noch nicht outen, weil mein Vater ausflippen würde».
Genauso gibt es den 70-Jährigen, dem daheim seit 20 Jahren nur noch Kälte entgegenkommt und der nun jemanden getroffen hat und herausfinden möchte, ob er sich für diese Person scheiden lassen sollte.
Interessant ist, dass ungefähr gleich viele Männer wie Frauen bei uns anrufen. Das hätte ich bei der Gründung nie gedacht.
Ich hätte gedacht, dass es deutlich mehr um Seitensprünge geht.
Warum hat Sie das überrascht?
Ich hätte gedacht, dass es deutlich mehr Männer sein würden und dass es viel mehr um Seitensprünge, Affären oder Beziehungen gehen würde. Das kommt aber gar nicht oft vor.
Was sind denn die Geschichten hinter den Menschen, die ein Alibi buchen?
Wir haben zum Beispiel Geschäftsführer, interessanterweise viele aus der Schweiz, die uns sagen: «Ich habe ein Burn-out und muss in eine Klinik. Aber wenn ich das jemandem mitteile, dann bin ich bei meiner Rückkehr nur noch der, der einen an der Klatsche hat.» Mit einem Alibi sind sie nachher immer noch die respektierten Chefs.
Wenn wir ein komisches Gefühl haben, lehnen wir die Fälle ab.
Oder wir hatten gerade erst, und das kommt so ähnlich recht häufig vor, eine Domina, die aus der Stadt ins Randgebiet gezogen ist. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und in der Stadt war ihre Arbeit nie ein Problem. Jetzt aber hat sie Angst, dass die neuen Nachbarn sie nicht ernst nehmen oder die Kinder gemobbt werden, wenn man herausfindet, dass sie Domina ist.
Wir haben aber auch viele Krebskranke und HIV-Patienten, die ihre Krankheit geheim halten möchten.
Gibt es auch Fälle, die Sie abgelehnt haben?
Wenn ich oder meine Mitarbeiter bei einer Person ein komisches Gefühl haben, lehnen wir die Fälle ab. Der Fall, den ich als letztes abgelehnt habe, war einer, der wollte, dass wir für ihn mit seiner schwangeren Freundin Schluss machen. Das geht natürlich nicht.
Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn man eine Alibi-Agentur nutzen muss, um sich den nötigen Freiraum zu verschaffen, anstatt einfach miteinander zu reden?
Seit es uns Menschen gibt, hat es immer Situationen gegeben, in denen man nicht die Wahrheit sagen kann. Es liegt ja selten an unseren Kunden, sondern an den Anderen. Wenn der Vater ein Tyrann ist, dann braucht der Sohn wegen ihm eine Ausrede für seine Homosexualität.
Gleichzeitig kann ich auch nachvollziehen, dass zum Beispiel nicht jeder mit einer Person, die einen speziellen Fetisch hat, umgehen kann.
Man könnte argumentieren, dass die Gesellschaft solche Dinge nie akzeptieren wird, wenn man immer ein Geheimnis daraus macht.
Ja. Aber wenn etwas Geheimgehaltenes rauskommt, macht man sich auch leicht erpressbar. Wir hören oft Geschichten, dass sich jemand jemandem offenbart hat und diese Information dann später gegen die Person verwendet wurde.
Sie machen mit Alibis Geld. Packen Sie manchmal moralische Zweifel an Ihrer Arbeit?
Nein. Die Zweifel sind schnell vom Tisch gefegt, wenn man die Geschichten und Hintergründe der Kunden mitbekommt. Wir haben Menschen, die anrufen und vor lauter Tränen kein Wort herausbringen.
Letztes Jahr hatten wir zum Beispiel einen asiatischen Kunden, der am Fliessband eines deutschen Automobilunternehmens arbeitet und da viel Geld verdient. Dann kamen die Eltern nach vielen Jahren zu Besuch und er brauchte einen Arbeitsplatz in einem Büro. Denn wenn er hinter einem Schreibtisch mit einem Computer sitzt, dann sind seine Eltern stolz. Ansonsten hätte er sein Gesicht verloren.
Ich habe daher eher die Einstellung, dass jeder sein Leben so leben sollte, wie er es möchte.
Das Gespräch führte Gina Messerli.