Wie wird Covid-19 unsere Städte verändern? Architekten und Städteplanerinnen stehen vor neuen Herausforderungen, sagt Architekturtheoretiker Sascha Roesler: Unsere Städte müssen flexibler werden – und unsere Wohnungen.
SRF: Wie haben Sie den Lockdown erlebt?
Sascha Roesler: Als Flaneur und Stadtbeobachter fand ich es interessant zu sehen, wie sich das städtische Leben verlangsamt, und wie übernutzte Orte plötzlich verwaist sind. Für Architektinnen und Stadtplaner war es ein guter Moment, um auf ihren Untersuchungsgegenstand zu schauen.
Wie muss eine Stadt beschaffen sein, damit man den nächsten Lockdown gut übersteht?
In Siedlungen und Stadtquartieren sollten die Aussenräume so gestaltet sein, dass man dort die Freizeit verbringen, aber auch arbeiten kann, sogar das ganze Jahr hindurch. Mit unterschiedlich nutzbaren, wandelbaren Lebensräumen könnte man Städte resistent gegen Krisen machen.
Wir lösen uns langsam von der Vorstellung, dass ein Grossteil der Menschen morgens in ein Büro zur Arbeit geht.
Das Gleiche gilt für Wohnungen: Am besten sind Räume, die nicht monofunktional, sondern flexibel nutzbar sind. Eine Wohnung sollte verschiedene Austauschgelegenheiten und Treffpunkte bieten und über unterschiedliche Zonen verfügen – Zonen für Begegnung und Arbeit und solche für Rückzug. Die Bewohner sollten sich an unterschiedlich gestalteten Orten aufhalten können.
Finden solche Gedanken zur Post-Corona-Stadt schon Niederschlag?
Noch hat niemand eine klare Vorstellung einer Post-Corona-Stadt, ausser vielleicht der italienische Architekt Stefano Boeri: Er hat für die albanische Hauptstadt Tirana ein Projekt entworfen, in das Überlegungen wie die eben genannten eingeflossen sind.
Gefordert sind jetzt aber die Unternehmen, sich aktiv Gedanken zu machen. Corona hat nämlich gezeigt, dass man gut von zu Hause aus arbeiten kann.
Novartis etwa hat sich aufgrund von Mitarbeiterrückmeldungen entschlossen, Homeoffice permanent anzubieten. Auf dem Novartis-Campus wird in Zukunft ein Drittel der Arbeitsplätze nicht mehr benötigt. Dadurch werden neue Nutzungen möglich.
Homeoffice, hybride Bereiche, mehr Gemeinschaftsräume: Jetzt braucht es eine intensive Diskussion in der Architektur, wie man sich das vorstellen soll.
Eigentlich ist das nichts Neues: Homeoffice und Leerstand von Büroräumen gab es schon vor Corona.
Das ist richtig, ich sehe die Corona-Krise auch nicht unbedingt als Zäsur. Gewisse Entwicklungen haben sich bereits vorher abgezeichnet. Corona ist ein Beschleuniger.
Pandemien haben die Stadtplanung schon immer beeinflusst.
Wird es in einigen Jahren keine Bürohäuser mehr geben?
So schnell wird sich unsere Arbeitswelt wohl nicht ändern. Aber es kann durchaus sein, dass wir an einem Wendepunkt sind.
Wir lösen uns langsam von der Vorstellung, dass ein Grossteil der Menschen morgens in ein Büro zur Arbeit geht. Es lohnt sich jetzt, über neue Arbeitsformen nachzudenken.
Sind diese Trends unumkehrbar?
Ich denke schon, dass dies eine längerfristige Entwicklung ist. Pandemien halten nun in unserem Bewusstsein Einzug – und das prägt. Man kann nicht einfach zum vorherigen Status zurück. Insbesondere, da Pandemien schon immer die Stadtplanung beeinflusst haben.
Inwiefern?
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand das wissenschaftliche Verständnis, wie man Infektionskrankheiten bekämpfen kann. Ein wichtiger Schritt waren Hygiene-Technologien, etwa der Einbau der Kanalisation.
Hygiene war Anfang des 20. Jahrhunderts das dominierende Thema, vergleichbar etwa mit dem Thema der Ökologie oder des Klimawandels heute. Auch Städtebau und Architektur standen damals unter dem Vorzeichen der Hygiene.
Die europäischen Städte waren damals dicht bebaut, die Menschen lebten in unglaublich engen Verhältnissen zusammen. In den 1920er-Jahren begann man, Städte anders zu konzipieren. Man achtete auf grössere Abstände zwischen den Häusern, auf geringe Belegungsdichte in den Wohnungen und auf eine Funktionsteilung zwischen den einzelnen Stadtteilen.
Funktionsteilung heisst, die Städte sind aufgeteilt in Zonen, in denen vornehmlich gearbeitet und eingekauft wird, und in Quartiere, in denen gewohnt wird?
Genau. Bald wurden allerdings die Schwachstellen dieses Modells sichtbar: Diese Städte basieren auf dem Pendler- und Autoverkehr.
Heute versucht man, die Städte so zu gestalten, dass die Funktionen wieder nahe beieinander liegen. Idealerweise in Fussdistanz, sodass Wohnen, Arbeiten und Einkaufen einfach, schnell und möglichst ohne Auto realisierbar sind. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab, der durch die Corona-Krise umso dringlicher wird.
Das Gespräch führte Meili Dschen.