Rainer Zitelmann redet gerne Klartext: «Wenn Reiche sagen, sie wollten der Gesellschaft etwas zurückgeben, ist das völliger Blödsinn. Sie haben der Gesellschaft ja nichts gestohlen – im Gegenteil.»
Der 63-jährige Deutsche kommt aus einfachen Verhältnissen und hat es nach ganz oben geschafft: Als Unternehmer und mit Immobilien hat er ein Vermögen verdient.
Reiche faszinieren und irritieren
Das Reichsein kennt Rainer Zitelmann nicht nur aus eigener Erfahrung. Als Soziologe hat er sich wissenschaftlich mit anderen Multimillionären befasst und Bücher über sie geschrieben.
Reiche seien überdurchschnittlich tatkräftige und verantwortungsvolle Menschen, die niemandem etwas schuldeten, sagt Zitelmann. Die Gesellschaft solle froh sein um solche Leute.
Reichtum polarisiert: Die einen sind der Meinung, Reiche seien rücksichtslos und hätten ihr Vermögen auf Kosten der Armen gemacht. Andere sprechen von Neid oder verweisen auf den grossen gesellschaftlichen Beitrag, den Vermögende über die Steuern leisteten.
Die Reichen selbst sprechen oft nicht gerne über ihr Vermögen. Denn wer überdurchschnittlich reich ist, wirkt irgendwie verdächtig. Das gilt für altes Geld wie für neuen Reichtum gleichermassen.
Reichtum als Privileg und Verpflichtung
Die Zürcherin Karin Stüber ist Firmenerbin und ebenfalls Multimillionärin. Ihre Rolle in der Gesellschaft sieht sie anders als der Selfmade-Millionär Zitelmann.
Reichtum ist für Karin Stüber auch eine Verpflichtung: «Gerade, weil ich das Vermögen geerbt habe, möchte ich der Gesellschaft etwas zurückgeben.» Die knapp 50-Jährige leitet in dritter Generation ein Familienunternehmen im Autohandel und gehört gemäss dem Wirtschaftsmagazin «Bilanz» zu den 300 Reichsten der Schweiz.
Dass sie einmal Chefin über 2’600 Angestellte würde, war nicht ihr Plan. Eigentlich ist Karin Stüber studierte Linguistin. Bis vor einigen Jahren lehrte sie an der Universität Gälisch, war Professorin für Vergleichende Sprachwissenschaften. Bis die familiäre Pflicht rief – und Karin Stüber umsattelte.
Verantwortung und Verzicht
«Das war schwierig für mich», sagt Stüber. «Schliesslich hatte ich lange auf meine Karriere als Wissenschaftlerin und die Professur hingearbeitet. Auf dem Höhepunkt habe ich dann alles aufgegeben.»
Heute sagt Karin Stüber, der Entscheid, in die Familienfirma einzusteigen, sei richtig gewesen: «Ich konnte jahrelang meiner wissenschaftlichen Leidenschaft nachgehen, weil ich keine materiellen Sorgen hatte. Jetzt war es Zeit, etwas zurückzugeben.»
Menschen von besonderem Schlag
Für Rainer Zitelmann ist es nicht der Reichtum, der Menschen prägt, sondern umgekehrt: Oft seien es Menschen mit herausragenden Fähigkeiten, die reich würden.
Der Selfmade-Millionär hat Dutzende Gespräche mit Reichen geführt, hat sie Tests machen und Fragebögen ausfüllen lassen. Er kommt zum Schluss: Wer es schafft, ein Vermögen aufzubauen, ist von besonderem Schlag: «Reiche sind oft Unternehmer. Sie nehmen die Dinge in die Hand und übernehmen Verantwortung – vor allem, wenn es nicht gut läuft.»
Das unterscheide sie von anderen: «Die meisten Menschen verbuchen nur den Erfolg für sich. Bei Niederlagen suchen sie die Schuld bei anderen.»
Selbstvertrauen und Fleiss seien hervorstechende Eigenschaften der Reichen, sagt Zitelmann: «Wer ein Vermögen aufbaut, schafft das nicht ohne Rückschläge.»
Doch diese Leute glaubten an ihre Fähigkeit, Probleme überwinden zu können. Sie arbeiteten oft wahnsinnig viel und hätten Freude daran, Dinge anders zu machen als die Mehrheit der Menschen.
Reichtum überfordert
Es gibt freilich auch andere Reiche. Etwa die, die ein Vermögen geerbt haben und damit nicht klarkommen. Oder die, die keine guten Unternehmer sind und die Firma an die Wand fahren.
Es gibt viele Vorurteile gegenüber Menschen, die ihren Reichtum geerbt haben. Firmenerbin Karin Stüber kennt sie alle: Wer aus reicher Familie kommt, muss nichts leisten und nichts können ist eines. Oder: viele Sprösslinge aus Unternehmerfamilien hätten Mühe, eine Lebensaufgabe zu finden.
«Es gibt diesen Spruch: Die erste Generation baut das Vermögen auf. Die zweite baut es aus – und die dritte studiert Kunstgeschichte», sagt Karin Stüber mit einem Augenzwinkern.
Reichtum macht unabhängig
Rainer Zitelmann findet Sprüche wie «Geld allein macht nicht glücklich» ziemlich daneben. Seiner Meinung nach haben solche Aussagen keine empirische Basis und sind eher dem Neid der Leute geschuldet: «Natürlich löst Geld nicht alle Probleme. Aber es macht doch vieles einfacher.»
Ausserdem bringe Geld mehr Unabhängigkeit: «Wer reich ist, kann sich aussuchen, was er oder sie tun möchte und mit wem er oder sie zusammenarbeiten möchte.»
Anpassen an die anderen
Karin Stüber kennt das zwiespältige Gefühl, das Reichtum auslösen kann. Als Kind habe sie in der Primarschule nicht gerne über ihre Familie und die Firma gesprochen: «Nach den Ferien habe ich nie erzählt, in welchen Hotels wir waren oder dass wir Businessclass geflogen sind. Ich war ja in einer öffentlichen Schule und wollte sein wie alle anderen.»
Als Karin Stüber als junge Frau mit einer Freundin eine Interrail-Reise machte, übernachteten sie in Jugendherbergen. «Nie wäre ich auf die Idee gekommen, in ein schickes Hotel zu gehen – obwohl ich es mir ja leisten konnte. Ich wollte mich anpassen.»
Auch das Gefühl, ausgenutzt zu werden, kennt sie: «Es ist mir nicht oft passiert, dass ich den Eindruck hatte, jemand suche den Kontakt nur wegen des Geldes. Aber es ist vorgekommen.»
In der Schweiz gibt man – und schweigt
Den Reichtum nicht zur Schau zu stellen, blieb Karin Stübers Devise: «Vielleicht ist das auch kulturell bedingt: In den USA hängen in den Museen immer grosse Tafeln mit den Namen der Stifter. In der Schweiz sind wir da anders: Wir geben und schweigen.»
Auch für Karin Stüber ist das Geben wichtig. Ihr Vater unterstützte Fussballclubs, sie selbst hat es als Mäzenin mehr mit der Kultur: «Kann schon sein, dass man auch ein schlechtes Gewissen hat, weil es einem so gut geht und man deswegen meint, etwas abgeben zu müssen. Es ist ja schön, dass man mit dem Vermögen Dinge möglich machen kann, die einem am Herzen liegen.»
Macht Geld unbeliebt?
Rainer Zitelmann kann dem wenig abgewinnen: «Wieso soll ich Schuldgefühle haben? Ich habe mit meiner Firma Arbeitsplätze geschaffen, die es sonst nicht gegeben hätte.» Er findet auch nicht, dass Reiche Geld spenden müssten. Wenn Rainer Zitelmann etwas spendet, dann vielleicht seiner Partei, der deutschen FDP, oder der Kirche. Aber eigentlich ist das nicht sein Ding.
Vielmehr sieht der Multimillionär seine Aufgabe darin, Geld zu investieren. Wer gut investiere, ermögliche Dinge, die der Gesellschaft nützen würden: «Microsoft-Gründer Bill Gates hat der Welt seine Softwareprogramme gegeben – und er hat damit viel Geld verdient. Alle profitierten also davon. Heute spendet Bill Gates viel Geld für Hilfsprojekte und die Weltgesundheit. Und was ist der Dank? Verschwörungstheoretiker machen ihn sogar für das Coronavirus verantwortlich.»
Reiche werden zwar beneidet, sind aber unbeliebt. Wer viel Geld spendet, macht sich verdächtig. Rainer Zitelmann sieht sich darum als Investor und nicht als Donator.
Dabei sei auch der gesellschaftliche Nutzen viel grösser als gemeinhin angenommen: «Wenn Leute wie ich keine Staatsanleihen kaufen, wie finanzieren sich dann all die verschuldeten Länder? Damit gebe ich der Gesellschaft ja ebenfalls etwas.»
Vermögen als Würde und Bürde
Die Aussagen von Rainer Zitelmann und Karin Stüber zeigen unterschiedliche Sichtweisen: Reichtum kann man als Auszeichnung sehen, als Anerkennung für Geleistetes. Denn wer aus eigener Kraft ein Vermögen schafft, muss Talent haben. Geerbter Reichtum dagegen hat in einer Leistungsgesellschaft den Makel des Unverdienten.
Bei allen Annehmlichkeiten, die ein familiäres Vermögen mit sich bringt – es kann auch zur Hypothek werden: Sei es, weil grosse Erwartungen damit verbunden sind oder weil vermögende Erben sich ständig rechtfertigen müssen.
Der Makel des Reichtums
Ebenfalls zu beobachten: Geerbtes Geld kann lähmen. Der Druck, etwas durchzuziehen – ein Projekt oder eine Ausbildung – ist mitunter geringer, wenn man damit keinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Auch die Wertschätzung für die eigene Leistung kann darunter leiden: Wer schon alles hat, kann nichts mehr erreichen.
Vielleicht sind jene, die ihren Reichtum nicht selbst geschaffen haben, darum in einem Zwiespalt: Dem Reichtum – und dem Glück, das er verspricht – haftet ein Makel an.