Andreas Heuser forscht seit über zehn Jahren zur Pfingstbewegung. Er sagt, weshalb die Pastoren der Megakirchen so erfolgreich sind, welche Ziele sie verfolgen und welches Potenzial er für die Pfingstkirchen in Westeuropa sieht.
SRF: Die Pfingstbewegung vereint auf den ersten Blick gegensätzliche Aspekte. Auf der einen Seite steht die Spiritualität, auf der anderen Seite das – sehr weltliche – Streben nach Reichtum. Welches Bedürfnis steht bei den Anhängern im Vordergrund?
Andreas Heuser: Es geht immer um beides, das lässt sich nicht voneinander trennen. Im Mittelpunkt der Pfingstbewegung steht die Frage, wie der Glaube das eigene Leben verbessern kann. Die Wohlstandsbotschaft lässt sich auch verstehen als Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Stand dieser materielle Aspekt von Anfang an im Zentrum der Pfingstbewegung?
Dieser Materialismus hat sich erst in den 1960er- und 1970er-Jahren durchgesetzt. Die Denkrichtung ist nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA entstanden und hat sich weltweit verbreitet. Auch die Megakirchen sind ein relativ junges Phänomen, das in den letzten 20 bis 30 Jahren entstanden ist.
Die Wohlstandsbotschaft lässt sich auch verstehen als Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Da diese Kirchen flexibel funktionieren, konnten sie sich innert kurzer Zeit etablieren. Sie funktionieren stark hierarchisch, angeführt von einer Gründerfigur.
Die Kirchen treten ausserdem sehr öffentlichkeitswirksam auf. Deshalb wirken sie auch ausgesprochen dominant. Mit ihren Angeboten erreichen sie ein speziell junges, sozial aufstiegsorientiertes und oft urbanes Publikum.
Was sind das für Angebote?
Die Kirchen nutzen verstärkt die sozialen Medien, kommunizieren direkt über Handys mit ihren Mitgliedern und betreiben sehr professionelle Webauftritte.
Viele Anhänger sind von Armut betroffen und sehen in ihren Kirchen ein Umfeld, das ihnen einen sozialen Aufstieg ermöglicht.
Zudem setzen sie stark auf moderne Kirchenmusik, auf Tanz und Performance. Die Bühnenpräsenz ist dabei ganz wichtig. Diese Variante der Pfingstbewegung lässt sich durchaus als eine Jugendbewegung verstehen.
Die Bewegung wächst auffallend stark in Entwicklungs- und Schwellenländern. Welche Rolle spielen die Armut und die soziale Ungleichheit für den Erfolg dieser Kirchen?
Eine entscheidende. Viele Anhänger sind von Armut betroffen und sehen in ihren Kirchen ein Umfeld, das ihnen einen sozialen Aufstieg ermöglicht. In der Kirche finden sie Halt und Hoffnung, aber auch starke Netzwerke der gegenseitigen Hilfe.
Weshalb stehen die Pastoren der Kirchen so stark im Vordergrund?
Die Gründer der Megakirchen präsentieren sich selber als Apostel oder Propheten. Sie reklamieren für sich, durch Visionen Informationen aus der göttlichen Sphäre in die Welt tragen zu können.
Das wird ihnen geglaubt – unabhängig davon, ob die Umsetzung ihrer Visionen, wie beispielsweise Wunderheilungen, sofort eintreten.
Es gibt dezidierte Kritik an den Kirchen. Manche werfen ihnen Betrug vor. Teilen Sie diese Meinung?
Es gibt schwerwiegende Korruptionsanklagen, insbesondere gegen einige der Stars unter diesen Megakirchen. Sie haben ganze Imperien aufgebaut, die sie in Alleinherrschaft verwalten. Dabei kommt es immer wieder zu Missbrauchsvorwürfen. Die Gesamtbewegung kann man aus meiner Sicht jedoch nicht derart verunglimpfen.
Die Orientierung am materiellen Reichtum ist eine der Triebfedern dieser Bewegung.
Die Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen, auch ihres spirituellen Anspruchs, muss man anerkennen. Die Megastars sehen sich und ihre Kirchen als Teil einer neuen Verchristlichung der Welt. Sie häufen auch deshalb viel Geld an, weil sie Dinge verändern möchten.
Historisch wollten sich die Pfingstkirchen nicht in die Gesellschaft einmischen, diese galt als dämonisch verseucht. Die neueren Kirchen haben hier einen Schnitt vollzogen. Sie wollen sich nicht mehr von der Welt zurückziehen, sondern diese aktiv verändern.
Was sind das für Dinge, welche die Kirchen verändern möchten?
Das hängt von der sozialen Positionierung der jeweiligen Kirche ab. Kleinere Kirchen, etwa in urbanen Slums, entwickeln nachbarschaftliche Hilfsvereine, die gegen Armut vorgehen.
Andere Kirchen, die von städtischen Mittelschichten getragen werden, entdecken zunehmend diakonische Aspekte wie die Gründung von Waisenhäusern oder die Arbeit mit Strassenkindern.
Die Pastoren der grossen Kirchen machen keinen Hehl aus ihrem Reichtum. Sie wohnen in Villen, fahren teure Autos. Weshalb sind die Menschen dennoch bereit, einen Teil ihres Einkommens an diese Kirchen abzugeben?
Die Gläubigen geben, weil sie selber teilhaben möchten an den göttlichen Gaben, welche die Kirchenführer für sich beanspruchen. Die Wohlstandprediger sind dabei auch Anhänger eines sehr neoliberalen Wirtschaftskonzeptes. Sie haben kein Problem, wenn sie Paläste bauen und um sie herum die Menschen in Armut leben.
Man geht davon aus, dass die Pfingstbewegung bis zum Ende dieses Jahrhunderts die katholische Kirche weltweit punkto Mitglieder abgelöst hat.
Dabei gelten sie als Vorbilder für den gesellschaftlichen Aufstieg. Die Orientierung am materiellen Reichtum ist eine der Triebfedern dieser Bewegung.
Sie sagen, das Ziel der Kirchen sie eine neue Verchristlichung der Welt. Was glauben Sie, wie viel Erfolg die Kirchen mit ihren Missionierungsbemühungen in Westeuropa haben werden?
Man geht davon aus, dass die Pfingstbewegung bis zum Ende dieses Jahrhunderts die katholische Kirche weltweit punkto Mitglieder abgelöst hat. Modelle und Strategien, wie sie die Kirchen etwa in afrikanischen Ländern verfolgen, funktionieren in Westeuropa jedoch nicht. Die Kirchen wissen nicht recht, wie sie dieser Herausforderung begegnen sollen.
Einige Pfingstkirchen – auch in der Schweiz – greifen inzwischen auf Nachkommen von Migranten der zweiten und dritten Generation zurück, die Leitungsfunktionen übernehmen.
Ein Wachstum wie etwa in afrikanischen Ländern halte ich in Westeuropa für sehr unwahrscheinlich. Ich gehe dennoch davon aus, dass diese Kirchen in Zukunft zu einem festen Bestandteil unserer Kirchenlandschaft und unserer Gesellschaft werden.
Das Gespräch führte Simon Jäggi.