Wunder versus Wissenschaft - Kann doch nicht wahr sein! Wunder – wissenschaftlich erklärt
Wunder widersprechen den Gesetzen von Natur und Wissenschaft – scheinbar. Denn Rationalisten versuchen seit jeher, Wunder rational zu erklären. Fünf Beispiele für Wundersames, für das es mehr oder weniger plausible Erklärungen gibt – aber nicht immer eine abschliessende Antwort.
Die Bibel ist voller Wunder. Eines hat es Wissenschaftlern besonders angetan: die Teilung des Meeres. Ein starker Ostwind treibt das Meer auseinander. Die Israeliten durchqueren es trockenen Fusses. Die sie verfolgenden Ägypter ertrinken im zurückschwappenden Wasser.
Frei erfunden? Nicht unbedingt, meinen Forscher, aber auch kein göttliches Wunder. Manche vermuten, dass ein Tsunami dahintersteckt. Andere glauben, es müssten – wie im Alten Testament beschrieben – Winde im Spiel gewesen sein.
Simulationen haben gezeigt: Ein starker Wind kann tatsächlich eine mehrere Kilometer lange Passage für einige Stunden trockenlegen. Laut Berechnungen könnte ein solcher Sturm alle 1000 Jahre auftreten – selten genug, um als Wunder durchzugehen.
2. Durstige Götterstatuen
Im September 1995 trank die Statue des Gottes Ganesha plötzlich Milch. Was in einem Hindu-Tempel im indischen Delhi geschah, schien sich schnell zu verbreiten. Bald hielten Gläubige auf der ganzen Welt Löffel mit Milch an die Stosszähne des elefantenköpfigen Gottes. Und die Flüssigkeit verschwand.
Wissenschaftler erklären das Wunder mit dem Kapillareffekt: Die Tendenz von Flüssigkeiten, in enge Röhren aufzusteigen, lässt die porösen Statuen die Milch aufsaugen.
Hinzu kommt eine Art Massenhysterie und der «Confirmation Bias» – ein psychologischer Effekt, bei dem Menschen wahrnehmen, was ihre Erwartungen bestätigt.
3. Wundersame Meereswesen
Meerjungfrauen, Sirenen, Wassermänner: Hin und wieder berichten Seeleute, dass ihnen die wundersamen Wesen aus Mythologie und Märchen begegnet sind.
Auch Christoph Kolumbus sah angeblich in der Karibik Meerjungfrauen. Die seien aber nicht so schön, wie man ihnen nachsagt, schrieb er. Kein Wunder: Kolumbus sah wohl Seekühe. Die mit den Elefanten verwandten Meeressäuger ähneln Robben – und sind eher plumpe als elegante Erscheinungen.
Auch bei anderen Sichtungen vermutet man Robben, Walrosse und ähnliche Tiere – eventuell gepaart mit dem physikalischen Phänomen der Lichtbrechung, das wie bei einer Fata Morgana zu einer Bildverzerrung führt.
4. Wenn Tumore plötzlich schrumpfen
Unheilbare Krankheiten, die ohne wirksame Therapie verschwinden? Das kommt vor, ist aber extrem selten. Mediziner sprechen von einer Spontanheilung.
Bei Krebs beginnt es damit, dass sich ein Tumor zurückbildet und sogar verschwindet – ohne, dass eine Behandlung Wirkung gezeigt hätte. Ein Tumor kann aber auch plötzlich wieder wachsen. Als geheilt gilt ein Patient erst, wenn er mindestens fünf Jahre später noch gesund ist.
Wie kommt es zu den sehr seltenen Tumorrückbildungen? Wissenschaftler vermuten, dass das Immunsystem plötzlich aktiv wird und es schafft, Krebszellen zu zerstören. Was das Immunsystem aktiviert, ist allerdings unklar. Eventuell spielen Infektionen eine Rolle.
5. Kahle Kreise im Grasland
Die kreisrunden kahlen Stellen in der trockenen namibischen Graslandschaft seien Fussabdrücke von Göttern, heisst es in den Mythen des lokalen Himba-Volkes.
Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler zu klären, wie die sogenannten Feenkreise entstehen. Einige vermuten, dass unterirdisch lebende Termiten die Gebilde erschaffen. Andere, dass starker Regen und Verdunstung verantwortlich sind. Wieder andere, dass Gase oder giftige Pflanzenreste das Graswachstum behindern.
Eine Hypothese sieht den Grund im Kampf der Pflanzen um Wasser und Nährstoffe: Die Gräser verteilen sich im Kreis, weil so alle gleichermassen Zugang zu den knappen Ressourcen haben.
Erklärungsansätze gibt es viele. Aber eine eindeutige Antwort, wie die Feenkreise entstehen, fehlt bis heute.
Hat der Wissensdrang Wunder abgeschafft?
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Christoph Kleine ist Professor für Religionsgeschichte mit Schwerpunkt Buddhismus an der Universität Leipzig. Im Rahmen seiner Arbeit befasst sich Kleine auch mit dem Thema Wunder, etwa im Beitrag «Die Wissenschaft und das Wunder: Überlegungen zum Umgang der Religionswissenschaft mit dem ‹Paranormalen›».
SRF: Wann begann man, Wunder zu hinterfragen?
Christoph Kleine: Wunderberichte wurden wohl schon immer hinterfragt. Auch früher waren die Menschen nicht vollkommen unkritisch. Sie wussten um die Bedeutung von Wundern für religiöse Institutionen und damit um die Versuchung, Wunder aus Profitgier oder Machtstreben zu erfinden.
Systematisch und im grossen Stil wurde der Wunderglaube in Europa aber erst in der Aufklärung kritisiert.
Weshalb?
Bis in die frühe Neuzeit wog bei den Christen die Autorität der Heiligen Schrift schwerer als die menschliche Erfahrung. Wenn eine Beobachtung der Bibel widersprach, dann war die Beobachtung oder deren Deutung falsch. Im 18. Jahrhundert änderte sich das: Vernunft und Empirie wurden zur entscheidenden Erkenntnisquelle.
Zudem interpretierte man Gott nun als Schöpfer, der die Welt nach Regeln gestaltet hat – sich aber in seine Schöpfung nicht mehr einmischt. Da bleibt für Wunder als Intervention durch übernatürliche Mächte kein Platz.
Hat die Aufklärung damit Wunder abgeschafft?
Nein. Die Mehrzahl der Menschen weltweit dürfte auch heute noch davon ausgehen, dass von Zeit zu Zeit Wunder geschehen.
Nehmen Sie als Beispiel die römisch-katholische Kirche: Seit dem Pontifikat von Johannes Paul II. von 1978 bis 2005 ist die Zahl der Selig- und Heiligsprechungen explodiert. Dazu gehört der Nachweis von mindestens einem Wunder. Von einer Abschaffung des Wunders kann also keine Rede sein.
Aber es gibt heute doch für alles mehr oder weniger plausible rationale Erklärungen …
Da bin ich mir nicht sicher. So kann zum Beispiel die heutige Medizin die Wirkweise von Medikamenten keineswegs immer genau erklären.
Es hängt auch davon ab, was wir unter plausibel und rational verstehen. Ein Beispiel: Für einen japanischen Buddhisten im 14. Jahrhundert war es plausibel und rational anzunehmen, dass Lepra die Folge schlechten Karmas ist – etwa, wenn jemand die buddhistische Lehre verleumdet hatte. Das entsprach der rationalen Auffassung, dass es ein Gesetz von Ursache und Wirkung gab.
Eine Welt ohne Wunder – wäre das gut oder schlecht?
Ich persönlich kann gut ohne Wunder leben – die Mehrheit der Menschen anscheinend nicht. Ob man das gut oder schlecht findet, hängt von den eigenen Kriterien ab.
Der Wunderglaube kann schlimme Folgen haben. So fielen dem Hexenglauben in Afrika allein im 20. Jahrhundert wohl zigtausende Frauen zum Opfer. Persönlich wäre es mir also lieber, wenn die Menschen für ihr Unglück nicht Hexerei oder übernatürliche Ursachen verantwortlich machten.
Ich würde es auch begrüssen, wenn Kranke zum Arzt gingen statt zu einem Wunderheiler oder einem Priester. Und wenn sie sich an Hygieneregeln hielten, statt Heilige um wundersamen Schutz zu bitten – gerade in Zeiten der Corona-Pandemie muss man das sagen dürfen.
Andererseits sind weltweit so viele Menschen von Gesundheitsversorgung und basalem Wohlstand ausgeschlossen, dass ihnen wenig anderes bleibt als die Hoffnung, dass ein Wunder ihr Leben besser macht.
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