Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Entsprechend empfindlich reagiert er auf Veränderungen. Bei der Verkehrsdebatte ist das exemplarisch zu beobachten. Obwohl die Mobilitätsforschung sagt, dass der private Autoverkehr in den Städten aus Umweltgründen reduziert werden soll, steigt die Zahl der Autos in der Schweiz immer noch an . Woran liegt das?
«Der Widerstand, wenn man jemandem etwas wegnimmt, ist in der Regel viel grösser als die Reaktion der Leute, die etwas gewinnen können», begründet Silas Hobi, Geschäftsleiter der verkehrspolitischen Umweltorganisation «UmverkehR» diesen Umstand.
Er setzt sich in seiner Arbeit politisch für mehr Grünflächen, Velowege und öffentlichen Verkehr in Schweizer Städten ein – und hat immer wieder Erfolg damit. Zuletzt in Zürich, wo zwei Gegenvorschläge zu Initiativen von «UmverkehR» deutlich angenommen wurden.
Silas Hobi sagt: «Es gibt diese Mehrheiten, die genug haben vom Autoverkehr in der Stadt, die genug haben von der Lärmbelastung, der Luftverschmutzung, die auch mehr Sicherheit wollen im Strassenverkehr und deshalb auch überzeugt sind von unseren Anliegen.»
Das Argument «Wirtschaft»
Ganz anders sieht das Peter Grünenfelder, der Präsident von «Auto Schweiz», der Vereinigung der offiziellen Automobil-Importeure. Für ihn ist die Umweltfrage im Verkehr bald gelöst – mithilfe von Elektroautos.
«Die europäische Automobilwirtschaft investiert jährlich gegen 60 Milliarden Euro in neue Antriebstechnologien, von emissionsarm zu emissionsfrei», sagt er. Die Automobilität sei also auf dem Weg zu Nettonull. «In diesem Sinne entfällt das Argument mit dem Klimawandel.»
Gleichzeitig führt Peter Grünenfelder das Argument mit der Wirtschaft ins Feld: «Städte sind Wirtschaftsmotoren dieses Landes. Damit das so bleibt, brauchen wir nach wie vor auch Individualverkehr mit Autos. Also mit Lastenvelos allein bringen sie keine Güter rechtzeitig in den Coop oder die Migros in der Innenstadt.»
Für eine nachhaltige Mobilität in den Städten müssen die beiden Lager ins Gespräch kommen.
Der Mobilitätsexperte Thomas Sauter-Servaes von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften relativiert beide Positionen: «Es kann nicht sein, dass ein Verkehrsmittel ein anderes ablöst. Nur noch Velos, statt Autos in der Stadt – das geht nicht. Aber wir müssen uns aufgrund des Klimawandels überlegen, wie die Mobilität in der Stadt der Zukunft aussehen wird.»
Elektroautos allein würden das Problem nicht lösen, sagt der Forscher, da aufgrund des Klimawandels vor allem die Städte immer heisser würden. Um dem entgegenzuwirken, brauche es mehr Grünflächen und diese könnten nun mal nur auf Kosten der Strassen und Parkplätze gewonnen werden.
Thomas Sauter-Servaes sagt: «Wenn wir aber weiterhin in dieser polarisierten politischen Situation verharren, wird sich nichts bewegen. Für eine nachhaltige Mobilität in den Städten, die den Bedürfnissen und Lebensrealitäten aller Menschen entspricht, müssen die beiden Lager ins Gespräch kommen.»
Das Gespräch kommt aber nur schleppend voran. Das hat auch damit zu tun, dass dieser tiefe Graben in der Verkehrsdebatte genau zwischen links und rechts verläuft. Dies zeigt auch die kommende Abstimmung über den Autobahnausbau .
Das Auto, ein Spaltpilz
Auf der einen Seite ist das linksgrüne Lager mit SP, Grünen und Grünliberalen, das dagegen ist. Auf der anderen Seite die rechts-bürgerliche Fraktion mit SVP, FDP und Die Mitte, die dafür ist. Warum ist das so? Warum spaltet das Auto die Parteien zwischen links und rechts auf?
Silas Hobi von «UmverkehR» kann sich das nicht erklären: «Alle Leute wollen doch ruhig schlafen können, weniger Luftverschmutzung und dass ihre Kinder sicher in die Schule gehen. Ich kann mir also nicht erklären, warum das rechts-bürgerliche Lager dermassen gegen diese Entwicklung in der Verkehrspolitik angeht.»
«Nicht in meinem Hinterhof»
Peter Grünenfelder von «Auto Schweiz» beschreibt dagegen eine gewisse Doppelmoral im linken Lager: «Ich kenne viele grüne Politikerinnen und Politiker, die gegen das Auto abstimmen, in ihrer Freizeit aber ganz gerne mit schnellen Autos herumfahren.»
Tatsächlich gibt es den sogenannten «Nimby-Effekt»: Das ist ein Akronym des englischen Satzes «Not in my backyard», also «Nicht in meinem Hinterhof». Gewisse Menschen in der Stadt stimmen für mehr Velowege und Grünflächen ab, wenn aber vor ihrem Haus die Parkplätze verschwinden, hagelt es Einsprachen.
Für Peter Grünenfelder, ehemaliger FDP-Kandidat für den Zürcher Regierungsrat, geht es auch um die persönliche Freiheit: «Wenn jemand Freude an diesem technologischen Wunderwerk Auto hat, für viele ist es auch ein emotionales Produkt, dann kann man das den Leuten doch nicht einfach wegnehmen. Ich nehme jemandem auch nicht einfach das Velo weg.»
Freiheit vs. Verantwortung
Die Verkehrsdebatte zeigt also wichtige politische Grundwerte auf: die individuelle Freiheit und die kollektive Verantwortung. Diese Grundwerte beanspruchen beide politischen Lager für sich, jedoch auf unterschiedliche Weise.
Silas Hobi sagt dazu: «Jedes Kind lernt im Kindergarten, dass die eigene Freiheit dort aufhört, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird. Und wer Auto fährt, schränkt die Freiheit anderer Menschen permanent ein.»
Zur kommenden Abstimmung über den Autobahnausbau sagt Hobi: «Mitten in der Klimakrise möchten Bundesrat und Parlament 5.3 Milliarden Franken in den Autobahnausbau verlochen. Das kann nicht sein. Die Bevölkerung hat klar gesagt, dass sie das Klimaschutzgesetz möchte und das Erste, was das Parlament macht, ist ein Milliardenpaket für den Autobahnausbau zu verabschieden. Das müssen wir stoppen.»
Einfach nur weiter machen wie bisher, ist mir zu denkfaul.
Für Peter Grünenfelder geht es beim Autobahnausbau ebenfalls um kollektive Verantwortung: «Wenn wir die Autobahn nicht ausbauen, nimmt der Verkehr in den Städten zu, da die Autos auf die Städte ausweichen werden, um Staus zu umfahren. Aus umwelttechnischen Gründen müssten man also für diese Vorlage sein, da so der Verkehr flüssig bleibt und die Städte entlastet werden.»
Dieses Argument relativiert Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes. Er bemüht sich aber trotzdem um einen Kompromiss zwischen den beiden Lagern: «In der Verkehrswissenschaft sagen wir immer: Wer Infrastruktur sät, der erntet Verkehr. Ein Pauschalurteil abzugeben, ist in diesem Fall aber sehr schwierig. Wir müssen uns einfach gut überlegen, wie wir Verkehr anders strukturieren. Einfach nur weiter machen, wie bisher, ist mir zu denkfaul.»
Für das Gewohnheitstier Mensch wird das wohl oder übel eine Herausforderung sein.