Wenn das Schlimmste passiert, das sich Eltern vorstellen können – und ihr Kind tot zur Welt kommt, dann ist Dilek Uçak-Ekinci zur Stelle. Sie ist Seelsorgerin, spezialisiert auf Stillgeburten. Sie hört den Eltern zu, tröstet sie, beantwortet Fragen, wie das Kind beerdigt werden soll oder was mit seiner Seele im Jenseits passiert. Dilek Uçak-Ekinci ist muslimische Seelsorgerin.
Die Seelsorge ist ein ideales Beispiel, um zu zeigen, wie das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) arbeitet und was die Arbeit bewirkt. Bis vor wenigen Jahren gab es die muslimische Seelsorge nämlich nur inoffiziell. Uçak-Ekinci besuchte die Patientinnen und Angehörigen im Spital als Freiwillige: «Ausser den Familien wusste niemand von meinen Besuchen.»
Doch je öfter sie gerufen wurde, desto mehr merkte sie: Sie braucht fundiertes Wissen über die Seelsorge, über die muslimische Seelsorge.
Forschung über muslimischen Alltag in der Schweiz
«Doch in der Schweiz existierte das nicht», erzählt Uçak-Ekinci. Also entschied sie, die muslimische Seelsorge zu ihrem Forschungsthema zu machen und bewarb sich für eine Promotionsstelle beim SZIG. Die Lebensrealität von Schweizer Musliminnen und Muslimen zu erforschen, praxisnah und islamisch-theologisch, gehört zum Auftrag des SZIG.
Die Seelsorge zu untersuchen sei auch deshalb wichtig, «weil sie eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen Staat und Religion ist», sagt Hansjörg Schmid, Direktor des SZIG.
Für ein Pilotprojekt im Kanton Zürich entwickelte das Zentrum eine Weiterbildung für muslimische Seelsorger. Es vermittelte zwischen Kanton und muslimischen Organisationen, um die Zusammenarbeit zu organisieren. Und bietet einen CAS an, einen 15-tägigen Weiterbildungsstudiengang.
Der Kanton Zürich schätzt das SZIG deshalb als Brückenbauer, sagt Nina Yehia von der kantonalen Fachstelle Religion, und als Garant für die Qualität der Ausbildung.
Zu nah an den Musliminnen und Muslimen?
Die islamisch-theologische Forschung am SZIG hilft den Seelsorgenden zudem, mit neuen Herausforderungen umzugehen, wie etwa mit Fragen zu neuen Behandlungsmethoden, Transplantationen oder der Fortpflanzungsmedizin.
Allerdings gibt es auch Kritik. Das SZIG sei zu nah dran an den muslimischen Gemeinschaften, könne so nicht kritisch genug sein, etwa bei Themen wie Radikalisierung oder dem Einfluss aus dem Ausland auf Schweizer Moscheen.
«Den Islam zu kritisieren ist geradezu in», sagt dazu SZIG-Direktor Hansjörg Schmid.Pauschale Kritik führe stets zu Abwehr. Allerdings sei es durchaus möglich, kritischePunkte anzusprechen – von innen. «Wir haben etwa Workshops veranstaltet zu Gender-Diversität», erklärt Schmid. Dazu brauche es aber ein Vertrauensverhältnis.
Die Kritik der SVP geht jedoch weiter: Sie warf dem SZIG in einem Vorstoss im Nationalrat vor, «schockierende Positionen» zu vertreten - etwa weil es sich dafür einsetze, dass Musliminnen am Arbeitsplatz Kopftuch tragen dürfen - und radikale Tendenzen im Islam zu ignorieren. Eine vom Bund in Auftrag gegebene Evaluation kommt hingegen zu einem anderen Schluss: Es gebe «keine Anzeichen dafür, dass die zu untersuchenden Vorwürfe gerechtfertigt sind». Das SZIG habe sich «sehr gut etabliert und leiste sehr gute Arbeit».