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Zeitalter der Narzissten «Leute wie Trump, Putin oder Erdoğan passen in die heutige Zeit»

Unsere Welt wird von Narzissten regiert. Diesen Eindruck erhält man nicht nur täglich in den Nachrichten. Er wird auch bestätigt im neuen Buch der Narzissmus-Spezialistin Bärbel Wardetzki.

SRF: Sie bezeichnen Donald Trump als einen typischen Vertreter eines aggressiven – sogenannt «malignen» – Narzissmus. In seiner jüngsten Rede vor der Uno drohte er sogar, Nordkorea anzugreifen. Wie gefährlich ist dieser Mann tatsächlich?

Zur Person

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Bärbel Wardetzki ist Psychotherapeutin und Sachbuchautorin. Seit Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Narzissmus und gilt als Expertin zu diesem Thema.

Bärbel Wardetzki: Das weiss ich nicht. Aber was wir spüren ist immer wieder eine grosse Angst. Und zwar deshalb, weil er verbal Dinge in die Welt setzt, die ganz schnell in eine Katastrophe münden können.

Auch wenn er diese Drohungen nicht wahrmacht, sind sie trotzdem gefährlich, weil er die politische Kultur missachtet: Man geht normalerweise diplomatisch aufeinander zu und vermeidet, den anderen blosszustellen und klein zu machen. Deshalb riskiert Trump mit seiner unsensiblen Art, dass ein Konflikt plötzlich vorschnell mit Waffengewalt ausgetragen wird.

Donald Trump hat ja eigentlich alles erreicht, was man sich erträumen kann: Als US-Präsident regiert er eine Weltmacht. Und doch hat man den Eindruck, dass er ständig zwischen Grössenwahn und Minderwertigkeitskomplex hin-und herpendelt, alles persönlich nimmt und wenig Gelassenheit an den Tag legt.

Narzisstische Menschen sind wie ein Fass ohne Boden. Sie haben keinen Boden, auf den etwas Positives fallen und Früchte treiben könnte. Sie brauchen immer wieder Zuwendung, immer wieder Bestätigung. Im Grunde suchen sie Liebe, aber sie bekommen Bewunderung. Und sie glauben Bewunderung sei Liebe.

Aber Bewunderung macht nicht satt, weil sich Bewunderung immer nur auf Äusserlichkeiten bezieht. Und Liebe hiesse «ich nehme Dich so, wie Du bist – und ich liebe Dich so, wie Du bist.» Das haben Narzissten in ihrer Kindheit nie erfahren und das suchen sie ein Leben lang.

Ist das ein Grund, warum in politischen Machtpositionen auffallend viele Narzissten anzutreffen sind?

Die narzisstische Grandiosität ist ein Motor, sich in eine Position zu begeben, in der man Macht hat. In der man etwas bewirken kann. In der man Menschen führen kann, und auf diese Art Bedeutung und Wichtigkeit erwirbt. Das ist per se noch nichts Schlechtes, denn wir brauchen Menschen, die sich engagieren und Verantwortung übernehmen wollen.

Sehr viele Politikerinnen und Politiker beginnen ab einem bestimmten Punkt, die Macht zu missbrauchen.

Für mich ist entscheidend: Setzt jemand an oberster Position seine Macht für das Wohl der Gemeinschaft ein oder missbraucht sie? Sehr viele Politikerinnen und Politiker beginnen ab einem bestimmten Punkt, die Macht zu missbrauchen, indem sie sich zu Alleinherrschern und Diktatoren mausern und nicht länger darauf achten, ob das, was sie anordnen, zum Wohl des Volkes beiträgt.

Heisst das also auch: Viele Menschen entwickeln erst in einer solchen Spitzenposition einen negativen Narzissmus?

Ja – Macht macht narzisstisch. Wenn ich ein Bedürfnis habe, besser sein zu wollen als alle anderen, und ich kriege eine Machtposition, in der ich dieses Gefühl verstärken kann, dann wird diese Macht mich nicht dazu bringen, demütig zu werden. Sondern sie wird wahrscheinlich dazu führen, dass ich sie ausbaue und ausbaue und ausbaue. Irgendwann habe ich mir mein Machtschloss so konstruiert, dass kein Mensch es mir wieder wegnehmen kann.

Sie betonen in Ihrem Buch, dass der Narzissmus im Moment Hochkonjunktur hat. Woran erkennen Sie das?

Wir leben heute in einer Gesellschaft, die sehr viele narzisstische Spielplätze anbietet. Nehmen wir zum Beispiel Social Media. Da werden die Leute andauernd ermuntert, sich in den Vordergrund zu stellen. Auch westliche Werte wie Leistungsbereitschaft und Tüchtigkeit verführen dazu, sich ständig profilieren zu wollen.

In der Politik erleben wir ja im Moment eine Blüte des Populismus. Neigen denn narzisstisch geprägte Politiker eher zu simplen Antworten?

Ja – sehr häufig. Das ist gerade, was Narzissmus ausmacht: Narzissmus ist nicht demokratisch und liebt auch nicht die Vielfalt. Narzisstische Macht ist immer eine Macht, die sehr auf diktatorische oder alleinige Herrschaft abzielt. Weil dann muss ich mich als Regent nicht mit anderen Meinungen auseinandersetzen. Demokratie ist in den Augen von Narzissten mühsam und anstrengend. Es wird unheimlich viel diskutiert und man möchte ja eigentlich einfache Lösungen.

Buchhinweis

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Bärbel Wardetzki: Narzissmus, Verführung und Macht in Politik und Gesellschaft, Europa Verlag, 2017.

Das sieht man jetzt in den USA deutlich: Trumps Regierungsstil funktioniert nicht, aber er zieht die Leute im ersten Moment an. Ähnlich auch bei uns in Deutschland – gerade bei den extremen Parteien. Rechts-und Linkspopulisten kommen nur mit simplen Antworten und klassischer Schwarz-Weiss-Malerei.

Narzissten sind ja eigentlich leicht durchschaubar – auch anhand ihrer Aussagen. Warum fallen wir dann aber trotzdem immer wieder auf diese Blenderinnen und Blender herein?

Wir fallen auf sie herein, weil sie halt einfach klasse sind. Sie zeigen uns eine Seite von uns, die wir vielleicht nicht leben. Narzissten ziehen oft zu grosse Schuhe an, überschätzen sich gerne, sind Menschenfänger, treten sehr charismatisch auf, haben eine hohe Fähigkeit, Leute zu bewegen, stehen im Rampenlicht, werden bewundert: Das sind alles Eigenschaften, die uns imponieren.

Je unsicherer sich ein Wahlvolk fühlt, umso stärker wird es einem narzisstischen Führer folgen, weil es sich von ihm eine Steigerung der eigenen Wichtigkeit verspricht.

Weil sie das so anziehend macht, übersehen wir vielleicht bestimmte kritische Faktoren: Dass sie zum Beispiel den Mund etwas gar voll nehmen oder andere Bevölkerungsgruppen respektlos behandeln, vielleicht sogar ablehnen.

Und wir dürfen etwas nicht vergessen: Je unsicherer sich ein Wahlvolk fühlt, umso stärker wird es natürlich einem narzisstischen Führer folgen, weil es sich von ihm eine Steigerung der eigenen Wichtigkeit verspricht. Je stabiler sich also Wählerinnen und Wähler sowieso schon fühlen, umso weniger werden sie vielleicht solchen Menschen auf den Leim gehen.

Das Gespräch führte Luzia Stettler.

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