Das «Schwarzbuch Putin» der Russlandexperten Galia Ackerman und Stéphane Courtois liest sich wie das Drehbuch zu einer weltpolitischen Katastrophe mit Ansage. In über 22 Jahren hat Wladimir Putin einen straffen Machtapparat installiert.
Dieser hat den zivilen Widerstand ausgeschaltet und kann sich auf hunderttausende Gefolgsleute verlassen, die Putin verpflichtet sind. Man könne von einem Sowjetsystem ohne kommunistische Ideologie sprechen, so Co-Herausgeberin Ackerman.
Bemerkenswert findet sie, dass der unscheinbar und bescheiden wirkende Ex-KGB-Agent Putin 1999 überhaupt zum russischen Präsidenten gewählt wurde. Dabei blitzte jedoch hinter der Fassade des farblosen Funktionärs schon früh seine wahre Gesinnung auf: So scherzte Putin etwa über seine Treue zur berüchtigten russischen Geheimpolizei Tscheka oder sprach schon einmal einen Toast auf Stalin aus.
Nie richtig erwachsen geworden
Courtois und Ackermann durchleuchten das System Putin aus vielerlei Perspektiven – von seinem Propagandaapparat über sein Verhältnis zu Oligarchen bis hin zu seiner Denkweise. Ihr Schluss: Putin sei immer Kind des KGB geblieben.
Hinter der martialischen Fassade eines «neuen Zaren» verbirgt sich für Galia Ackerman das schlichte Gemüt eines Mannes aus einfachen Verhältnissen, der sich nach oben geboxt hat: «Putins Mentalität ist die eines Mannes, der nie richtig erwachsen wurde. Er agiert immer noch im Geiste einer Jugendbande, wo der Stärkste das Recht hat, den anderen seinen Willen zu diktieren.»
Machterhalt durch Mafia-Methoden
Putin habe das halb romantische, halb schmutzige Image des KGB vollkommen verinnerlicht, so Ackerman. Verblüffend sei, wie es ihm gelungen sei, die «schmutzige Seite» der Geheimdienstarbeit mit der heroischen Erzählung eines grossrussischen Reiches zu verknüpfen.
Mit mafiösen Methoden habe er Gegenspieler kaltgestellt, die freie Presse ausgeschaltet und Vertraute an Schaltstellen der Macht gesetzt. Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja, die über den zweiten Tschetschenien-Krieg (1999–2009) berichtete, ist für Ackerman das eindrücklichste Beispiel für die kriminellen Energien der Putin-Regimes.
Ein weiteres Instrument totalitärer Kontrolle und Steuerung ist die Militarisierung der russischen Gesellschaft. So hält Putin die Erinnerung an den Krieg gegen Hitler-Deutschland wach. Das diene nicht nur dem Gedenken an die Opfer, sondern auch der ideologische Zurichtung auf zukünftige Kriege, merkt Ackerman an.
«Es wurden auch verschiedene patriotische Gesellschaften gegründet, um zum Beispiel grosse Schlachten des Zweiten Weltkriegs nachzustellen», so die Ackerman. «Verbunden mit der Vorstellung, dass das russische Volk ein auserwähltes Volk mit besonderen Genen sei. Russen seien von jeher genetisch unbesiegbar.»
«System Putin»: Kein Ende in Sicht?
Die Bilanz des Schwarzbuches ist ernüchternd: Es zeigt in drastischer Zuspitzung, dass Putin ein kühl berechnender Machtpolitiker ist, der zu allem bereit ist. Daher sei zu befürchten, dass für den Kreml-Herrscher einzig ein totaler Sieg gegen die Ukraine zähle, um das «System Putin» am Leben zu halten, so Ackerman.