Frischer Indie-Rock, ein unbekannter Vater und die Kraft des Redens und Zuhörens: Das sind unsere sechs Kulturtipps der Woche – frisch aus den SRF-Redaktionen.
Die Schweiz – das «Land der Pässe»
Buchtipp von Michael Steiner: Grosser St. Bernard, Gotthard, Splügen … die Schweiz ist das «Land der Pässe». Diesen widmet sich das gleichnamige Buch des Fotografen Richard von Tscharner. Sechs Jahre lang hat er sich Zeit genommen, um die Schönheit der Alpenpässe mit seiner Kamera in Szene zu setzen. Seine imposanten Fotografien im Buch werden ergänzt durch Texte verschiedener Autoren, die die historische, militärische und wirtschaftliche Bedeutung der Pässe nachzeichnen. Der Fotoband verdeutlicht: Von der Erschliessung der Schöllenenschlucht im 13. Jahrhundert bis zum Reduitplan im Zweiten Weltkrieg ist die Identität der Schweiz eng mit den Alpenpässen verknüpft.
Eine Platte voller persönlicher Widmungen
Albumtipp von Lea Inderbitzin: Eigentlich wollte sich Sängerin Emily Massey in eine abgelegene Hütte verziehen, um ein Album aus der Introspektive, aus ihrem tiefen Innern zu schreiben. In der Isolation reflektierte sie aber vor allem über die verschiedenen Beziehungen, die sie zu Freundinnen, Partnern oder Familie führt. Fast jeder Song auf dem zweiten Album «Yard» der Band Slow Pulp ist einer Person oder einer Art von Beziehung gewidmet. Genauso unterschiedlich wie die Gefühle verschiedener Beziehungen, so unterschiedlich kommen die Songs auf dem Album daher: mal schwelgender, mal folkiger, mal dicke Gitarrenwände, mal reduziert auf Klavier und Stimme.
Abschiedsbrief an den abwesenden Vater
Lesetipp von Katja Schönherr: Der 20-jährige Student Arda liegt mit Organversagen im Spital einer westdeutschen Kleinstadt. In einem Abschiedsbrief wendet er sich nun an seinen Vater, den er nicht kennt. Der Vater ist zurück in die Türkei gegangen, als Arda noch ganz klein war. In diesem Brief beschreibt Arda ihm sein Aufwachsen inmitten von Demütigung und Gewalt. «Vatermal» von Necati Öziri ist eines der besten Bücher dieses Herbsts. Ein intensives Leseerlebnis, wie man es nur selten hat. Seite für Seite leidet man mit Arda, spürt seinen Schmerz – genauso wie die kurzen Momente des Glücks.
Mit «Shake Stew» in einen Trancezustand verfallen
Konzerttipp von Roman Hošek: Die Band Shake Stew nimmt Zutaten wie Jazz, Funk, verschiedene Afro-Stile und arabische Musik und kocht daraus einen musikalischen Eintopf. Dabei legen sich majestätisch klingende Melodien über rhythmisch-treibende Grooves und die ausladenden Solos der Musikerinnen und Musiker versetzen das Publikum in einen Trancezustand. Die siebenköpfige Formation um den österreichischen Bassisten Lukas Kranzelbinder ist ein Muss für alle, die während einem Konzert abheben wollen.
Ein ganz normaler Tag auf dieser widrigen Welt
Ausstellungstipp von Anna Jungen: Seit knapp fünf Jahrzehnten reist der Schweizer Fotograf Daniel Schwartz in die brisanten Territorien dieser Welt. Von Kambodscha bis zur Wallstreet. Seine Fotografien verweisen beharrlich, aber nie plakativ auf die Widrigkeiten der Welt. In der Ausstellung im Kunstmuseum Luzern sehen wir Menschen in permanenten Ausnahmesituationen und doch an einem ganz normalen Tag. «On an ordinary day» wie ein Bildlegende lautet.
Über die Kraft des Dialogs
Filmtipp von Ann Mayer: Was passiert, wenn Täter und Opfer von Verbrechen aufeinandertreffen? Eine Frage, die sich die restaurative Justiz stellt – und der Film «Je verrai toujours vos visages». Fast nur durch Monologe und Dialoge werden hier erschütternde Geschichten über Wut, Angst, Gewalt, aber auch mögliche Heilung erzählt. Nuanciert und nie moralisierend. Spannung und Doku-Realismus erzeugen in diesem Fast-Kammerspiel das erstklassige Schauspiel-Ensemble und die authentisch geschriebenen Texte – keine effekthascherischen Gewaltszenen. Ein Film über die Kraft des Redens und Zuhörens.