Das Auffälligste an der Ausstellung im Musée Rath ist die Beleuchtung. Riesige weisse Lampen hängen wie dicke Wolken unter der Decke. Das Licht, das sie verbreiten, wechselt in Intervallen von einem kalten, hellen Leuchten zu einem warmen, gedimmten Glühen.
Spazieren mit Hodler
Die Besucherinnen und Besucher sollen gleichsam mit Hodler spazieren gehen, die Welt durch seine Augen sehen – so wünscht es Laurence Madeline, die die Ausstellung in Genf eingerichtet hat. Und dazu gehört für die Genfer Kuratorin auch das Erlebnis verschiedener Lichtstimmungen, die an Morgenfrische, Mittagshelle und Abenddämmerung denken lassen.
«Hodler war ein Spaziergänger», sagt sie. Viele Motive fand er in der Landschaft. Mehr noch: In der Auseinandersetzung mit der Natur entwickelte er eine eigene Kulturtheorie, den Parallelismus.
Einer, über den man alles weiss
Die Ausstellung, die jetzt in Genf gezeigt wird und die – in leicht geänderter Form – ab September auch in Bern zu sehen ist, stützt sich auf Hodlers Parallelismus.
Die Kuratorinnen Laurence Madeline (Genf) und Nina Zimmer (Bern) glauben damit einen Weg gefunden zu haben, Hodler ganz neu zu präsentieren. Denn, wie Madeline vor der Presse sagte: «In der Schweiz wissen ja schon alle alles über Hodler.»
Mit dem Begriff Parallelismus umschreibt Hodler seinen Eindruck, dass die Natur von Symmetrien geprägt sei. Im Wald sieht er zahlreiche vertikale Parallelen, die Baumstämme. Am Ufer eines Sees erscheinen ihm Wolken, Wellen und Wasserspiegelungen als horizontale Parallelen.
Aus diesen Beobachtungen leitete Hodler die Überzeugung, Symmetrie sei die Grundformel alles Seins. Mit dem Parallelismus glaubt er des Pudels Kern entdeckt zu haben. Damit war er nicht allein.
Um 1900 geisterten diverse halb künstlerisch, halb naturwissenschaftlich inspirierte Welterklärungstheorien durchs Bildungsbürgertum. Zu den bekanntesten zählen die «Kunstformen der Natur» des Zoologen Ernst Haeckel.
Baum zu Baum, Mensch zu Mensch
Hodler machte sich das von ihm entdeckte Prinzip des Parallelismus zu eigen und wandte es in all seinen Gemälden an. Das will die vom Musée Rath in Genf und dem Kunstmuseum Bern gemeinsam aufgegleiste Schau zeigen.
Also wurden die Gemälde nach bestimmten gestalterischen Prinzipien sortiert: alle Baumgruppen zusammen, alle Thuner- und Genfersee-Ansichten zusammen, alle stehenden Menschengruppen, alle liegenden.
Das Ergebnis ist eine sehenswerte Ausstellung. Überwältigend anders als andere Hodler-Retrospektiven ist sie allerdings nicht.
Berühmte Bilder
Rund 100 Gemälde versammelt die Ausstellung. Es ist alles dabei, was man von einer Hodler-Schau erwartet: Landschaften, Porträts, Selbstbildnisse und symbolistische Figurengruppen. Darunter Highlights wie «Die Nacht».
Das 1889/90 gemalte Bild gilt als eines der Schlüsselwerke des Malers und machte ihn berühmt. Das Gemälde ist Teil der Sammlung des Kunstmuseums Bern und wird praktisch nie auf Reisen geschickt. Für das Genfer Publikum ist diese Leihgabe also eine echte Sensation.
Das Bild zeigt eine Gruppe Schlafender, in der Mitte einen Mann mit Hodlers Zügen, der von einem dunklen Wesen geweckt wird. Das wird meist als Symbol für Hodlers Todesangst gedeutet. Und ja, auch hier findet sich der Parallelismus: In Form der gleichmässig angeordneten, liegenden Figuren.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 19.4.18, 17.10 Uhr