«Das ist surreal!» – dieser Ausdruck hat längst Eingang in die Alltagssprache gefunden. Für Juri Steiner ist es ein Zeichen dafür, wie einflussreich der Surrealismus als prägende Kunstströmung für die ganze Gesellschaft war und bis heute geblieben ist. Der Zürcher ist Direktor des Waadtländer Kunstmuseums MCBA (Musée cantonal des Beaux Arts), das dem Surrealismus in einer grossen Ausstellung die Ehre erweist.
100 Jahre ist es her, seit André Breton das erste seiner «Manifeste des Surrealismus» veröffentlicht hat. Anlässlich des Jubiläums widmen auch die zwei anderen Museen des Lausanner Museumsquartiers «Plateforme 10» dem Surrealismus je eine Ausstellung.
Zugang zur Seele
Da sind die Gemälde der grossen Klassiker wie Salvador Dalí mit seinen Traumwelten, der unwirkliche René Magritte oder Max Ernst, der in seinem Schaffen das Unbewusste erkundet. «Der Surrealismus hat sich mit dem auseinandergesetzt, was über den Alltag und das Bewusstsein hinausgeht», sagt Kurator Steiner. «Er bringt Dinge ans Tageslicht, die versteckt sind, einem Angst machen oder Sehnsüchte wecken.»
Insgesamt sind im MCBA Werke von mehr als 60 Kunstschaffenden zu sehen, die Hälfte davon Frauen. Entdecken lassen sich nebst Werken von prägenden Figuren wie Meret Oppenheim etwa auch jene der Surrealistin Unica Zürn, die wegen ihrer psychischen Probleme oft lediglich als Vertreterin des Art brut gesehen wird. Diese historischen Werke finden zudem ihren zeitgenössischen Widerhall, einen Stock weiter oben.
Man Rays Innenleben
Nur einen Steinwurf vom Kunstmuseum entfernt, ist der Surrealismus auch im «Photo Elysée» Thema, dem Museum für Fotografie: Mit Man Ray, der mit Film und Fotografie experimentierte und als Amerikaner im Kreis der europäischen Surrealisten aufgenommen wurde.
«Man Ray wollte etwas kreieren, was nicht dokumentarisch ist – bei ihm finden wir niemals eine Strassenszene, alles ist inszeniert», sagt Nathalie Herschdorfer, Direktorin des «Photo Elysée».
Zwar sei nicht sein ganzes Werk surrealistisch, doch gerade einige sehr bekannte Bilder von ihm seien typisch für die Kunstströmung: «Die Fotografie an sich ist präzise, aber Man Ray wollte mit ihr die Emotionen und die Innenwelt sichtbar machen: Der berühmte Akt mit dem Cello-Zeichen ist seine Art, von der Frau und der Sexualität zu sprechen», so Herschdorfer.
Design, das den Menschen befreit
Schliesslich hat der Surrealismus auch seinen Platz im Design gefunden. Einerseits mit Objekten, die bekannte Werke zitieren – etwa ein Servierboy in Form der bekannten Pfeife von Magritte («Ceci n‘est pas une pipe»). Andere hinterfragten die herkömmlichen Formen von Möbeln.
Das passe zu den revolutionären Surrealisten der ersten Stunde: «Die Surrealisten wollten den Geist von den Zwängen der Bourgeoisie befreien», sagt Marco Costantini, Direktor des Design-Museums Mudac. «Insofern befreit der Surrealismus auch im Design das Individuum von sozialen Zwängen – weg von standardisierten Möbeln, hin zu mehr Kreativität und Freiheit.»