Einerseits verteufeln wir sie, andererseits bedienen wir sie: Rollenklischees und Schubladendenken.
Auch wenn die französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir bereits vor über 70 Jahren kritisierte, dass erst die Gesellschaft das Wesen zum Mann oder Frau mache, muss man sich auch heute noch fragen: Hat sich seither etwas geändert?
Auf Gender-Konfrontationskurs
Das wollen die Macherinnen und Macher der Ausstellung «Geschlecht. Jetzt entdecken» im Lenzburger Stapferhaus herausfinden. Sie konfrontieren die Besucherinnen und Besuchern deshalb mit fest zementierten Gender-Vorurteilen.
In einem Raum ertönen unterschiedliche Stimmen: «Wenn vor mir jemand im Auto sitzt, der anders fährt, als ich mir das vorstelle, denke ich immer, dass das sicher eine Frau ist», sagt eine Frauenstimme.
«Alleine die Bemerkung ‹Wow, ist das ein engagierter Vater›, ist so peinlich. Aber ich habe das selber schon oft gesagt», sagt eine andere.
Persönliche Fragen von gewöhnlichen Menschen
Die Schau lässt bewusst gewöhnliche Menschen zu Wort kommen. Denn sie will zeigen: Es geht hier nicht um eine fernab geführte gesellschaftliche Debatte. Es geht um uns, um unseren Körper und um die Frage, ob und wie wir uns in dem zu Hause fühlen – ob als Mann, als Frau oder als nicht binäres Geschlecht.
Grosse Fragen, die bewusst ins Persönliche führen, sagt Kurator Alain Gloor: «Wir glauben, dass sich im persönlichen Raum viel bewegen kann. Dort sitzt das Herz. Dort rumort der Bauch, wenn ein Satz ins Schwarze trifft.»
High Heels und cooles Posieren
Die Ausstellung lädt ein, mit Rollenklischees zu spielen. Frauen können in einer Fotobox ausprobieren, wie ein Mann posieren würde, wenn er besonders cool oder überlegen wirken will.
Männer wiederum sind eingeladen, in extra grossen High Heels über den Laufsteg zu stolzieren und sich die Nägel zu lackieren.
Man sieht: Auch die Macherinnen und Macher der Ausstellung sind in die Gender-Falle getappt. Nicht alle Frauen lackieren sich die Nägel und tragen hohe Schuhe.
Nebst Selbstversuchen gibt es auch erzählende Ausstellungsstücke wie den Jeans-Rock eines Taxifahrers. Er trägt ihn aus Bequemlichkeit und erzählt in einer Audioaufnahme, wie verblüfft oder ablehnend andere darauf reagiert haben.
Manche Ausstellungsstücke sind historisch, wie zum Beispiel die Duell-Pistolen, die in einer Vitrine aufgebaut sind. «Oft ist die Frage der Männlichkeit auch eine Frage der Ehre. Es ist einfach absurd, dass man sich bis vor gar nicht so langer Zeit zum Duell herausgefordert hat, wenn man sich in seiner Ehre verletzt gefühlt habe», so Alain Gloor.
Die Ausstellung schreckt aber auch nicht vor intimen Fragen zurück: Ist es okay, wenn ich nicht Mutter oder Vater werden will? Warum täuschen viele Frauen einen Orgasmus vor?
Es ist also mehr als eine Spielerei mit Stereotypen: Hier geht es um stark verinnerlichte Muster und Kategorien, die einengen und unfrei machen.
Auf gesellschaftspolitischer Ebene etwa bilden diese Geschlechter-Kategorien noch immer hohe Mauern, wie die Ausstellung verdeutlicht: In einem Raum ist der Boden so schief, dass es schwerfällt zu stehen. Die Architektur versinnbildlicht Themen wie Lohnungleichheit und zeigt auf, wo Männer noch immer dominieren und Frauen fehlen.
Mehr Wunsch als Realität
«Wir müssen nicht mehr darüber diskutieren, ob man wir uns männlich oder weiblich fühlen. Wir sind einfach alle Menschen.» Mit diesen Worten endet die Ausstellung. Beim Streifzug durch das Stapferhaus wird allerdings klar: Sie sind wohl mehr frommer Wunsch, als gelebte Realität.