Von den drei Direktoren der Gestaltungsschule Bauhaus gingen zwei als Begründer der modernen Architektur in die Geschichte ein: Walter Gropius und Mies van der Rohe.
Der Schweizer Architekt Hannes Meyer aber, Bauhausdirektor von 1928 bis 1930, wurde für viele Jahre aus der kollektiven Erinnerung gestrichen.
Dabei hatte Meyer in den zwei Jahren seines Direktoriums viel bewegt: Er reformierte den Unterricht, führte eine Architekturabteilung ein und erhöhte die Zahl der Studierenden, indem er die Aufnahmebedingungen lockerte.
Bewundert und umstritten
In seiner Zeit verzeichnete das Bauhaus die höchsten Studentenzahlen. Das hatte auch damit zu tun, dass diese Schule dem Zeitgeist entsprach.
Sie galt als cool und als antibürgerliche Insel, in der freier Gedankenaustausch, aber auch freie Sexualität gelebt wurden. Hannes Meyer selber hatte aussereheliche Affären, die er gar nicht zu verheimlichen versuchte.
Die Nähe zu den Studierenden war ihm wichtig, man duzte sich. Walter Gropius, den vorherigen Direktoren, hatten die Studenten stets aus der Distanz verehrt. Bauhaus-Meister wie Wassily Kandinsky und Paul Klee betrachtete man als Halbgötter.
Damit brach Meyer radikal. Er polarisierte mit seiner authentischen, direkten und undiplomatischen Art, hatte Bewunderer, aber auch viele Kritiker.
«Volksbedarf statt Luxus»
Walter Gropius, der Begründer des Bauhauses, hatte Meyer selber an seine Schule geholt. Er war angetan von dessen sozialem Engagement als Architekt.
Doch bald zeigten sich Differenzen. Gropius wollte das Bauhaus in den politischen Wirren des aufkommenden Nationalsozialismus so unverdächtig wie möglich haben, um es vor einer Schliessung zu bewahren.
Meyer war ein Linker und wünschte sich ein politisches Bauhaus, das Gestaltung und Architektur in den Dienst der Gesellschaft stellte. «Volksbedarf statt Luxusbedarf» war seine Forderung. Dem von Walter Gropius geprägten Bauhaus warf er vor, sich in künstlerische Formalismen verstrickt zu haben.
Politisch links trotz aller Umstände
Die unterschiedlichen Haltungen der Direktoren erklärten sich auch aus ihren sozialen Milieus: Hier der kunstsinnige Walter Gropius, Spross einer grossbürgerlichen Familie mit humanistischem Hintergrund – dort Hannes Meyer, der als Kind Jahre in einem Waisenhaus verbracht und sich nach einer Maurerlehre selber fortgebildet hatte.
Ihre Differenzen wuchsen sich zur Feindschaft aus, als sich die politischen Umstände verschärften. 1930 drohte unter dem zunehmenden Einfluss der Nazis die Schliessung des Bauhauses. Der Oberbürgermeister von Dessau, der das Bauhaus retten wollte, appellierte an Meyer, seine politischen Äusserungen und die Linksfraktionen in der Studentenschaft zu unterbinden. Doch Meyer weigerte sich.
Uneinig mit Bauhaus-Meistern
So kam es zur fristlosen Kündigung Ende Juli 1930. Hinter den Kulissen hatten Wassily Kandinsky, Josef Albers und Walter Gropius die Fäden gezogen, um Meyer loszuwerden.
Die Auseinandersetzung mit den Bauhaus-Kollegen wurde heftig und gehässig ausgetragen. Oskar Schlemmer schrieb: «Hannes ist eine Enttäuschung, ein Kleinkrämer, ein Bauer und besonders: der Sache nicht gewachsen.»
Meyer rechnete seinerseits ab mit dem Bauhaus, wie er es vorgefunden hatte: «Überall erdrosselte die Kunst das Leben. So entstand meine tragikomische Situation: Als Bauhausleiter bekämpfte ich den Bauhausstil.»
Auch in der Sowjetunion kein Glück
Noch 1930 wanderte Meyer in die Sowjetunion aus, wo er Architektur lehrte und sich städtebaulich engagierte. Begleitet wurde er von einigen Bauhaus-Kollegen und seiner Lebensgefährtin: einer Sekretärin des Bauhauses, mit der er einen unehelichen Sohn hatte.
Trotz seiner Begeisterung für den Klassenkampf geriet Meyer in Konflikt mit dem sowjetischen Umfeld und sehr bald auch in die stalinistische Terrorspirale. Nur knapp entkam er 1936 den Säuberungsaktionen. Seine Freundin wurde dagegen erschossen. Der Sohn kam ins Waisenhaus.
Es folgte von 1939 bis 1949 ein Aufenthalt in Mexiko, wo er ein Institut für Städtebau leitete. Auch hier konnte er seine Träume nicht verwirklichen. Meyer kehrte nach Zerwürfnissen und politischen Richtungskämpfen wieder in die Schweiz zurück, wo er 1954 arm, vergessen und als Persona non grata starb.
Als «radikaler Kleinbürger» abgetan
Vergessen ging Hannes Meyer auch wegen Walter Gropius. Nach der Schliessung des Bauhauses 1933 bestimmte der Bauhaus-Gründer aus dem Exil in den USA die Geschichtsschreibung der Schule. Er wollte «sein» Bauhaus zur Signatur der Moderne machen und klammerte Hannes Meyer bewusst aus.
Nicht zuletzt, weil man das Bauhaus als Errungenschaft des freien Westens feiern wollte. Ein «roter» Bauhausdirektor durfte in den Jahren des Kalten Krieges keinen Platz in der Geschichte haben.
Noch 1965 distanzierte sich Walter Gropius von Hannes Meyer mit abfälligen Worten: Er sei ein «radikaler Kleinbürger», der ihn menschlich enttäuscht habe.
Zwischen allen Fronten
Im Osten hingegen bekämpfte man das Bauhaus in den Jahren des Kalten Krieges als «kosmopolitisch»: 1952 wurde Hannes Meyer in der DDR als «Knecht des Imperialismus» dargestellt.
Meyer war schlicht zwischen die Fronten der Systeme geraten. Den einen war er zu links, den anderen zu bürgerlich: Eine Würdigung seines Werks hat deshalb kaum stattgefunden. Das Jubiläumsjahr des Bauhauses wird dazu Gelegenheit bieten.