Der Schlüssel kommt in einem kleinen Stoffsäckchen aus dem obersten Fenster auf den Innenhof geflogen. Einen Buzzer, der die Tür zu Maja Hürsts Haus öffnet, gibt es nicht. Dafür ist es alt, grosszügig, einladend und bezahlbar.
In der Sommerresidenz
Zwischen Bahnhof und Limmatplatz im Kreis 5 wohnt Maja Hürst in einer zweistöckigen Wohnung mit ihrem Freund und mehreren Mitbewohnern. Ich erklimme die vielen Stufen hoch zu Maja Hürsts Altbauwohnung.
Dort wohnt und arbeitet die Künstlerin: Ein kleines Zimmer dient ihr als Atelier für die Zeit, in der sie in der Schweiz lebt. Gemeinsam mit ihrem Freund pendelt sie zwischen Zürich, Rio de Janeiro und Berlin. Im Sommer ist sie meistens hier, in der Stadt an der Limmat.
Pizza um Drei
Maja bittet mich in die Küche. Im Ofen brutzelt eine Pizza. Sie bietet mir Kaffee an und merkt gleich darauf, dass die Bohnen ausgegangen sind. Also kein Kaffee.
Wir trinken deshalb einen Aufguss aus getrockneten Kräutern. Den dampfenden Krug in der einen, den Teller mit der Pizza in der anderen Hand, führt mich Maja Hürst auf den Balkon.
Dort setzen wir uns hin. Maja ist hungrig und mit Pizzabacken kennt sie sich aus. Fünf Jahre hat sie als Pizzaiola gearbeitet, zwei bis drei Abende pro Woche. Es war einer ihrer Nebenjobs während des Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste.
Von der Dienstleiterin zur Künstlerin
Studiert hat Maja Hürst Visuelle Kommunikation: «Das war ein Studium, das sehr darauf ausgelegt ist, dich zur Dienstleisterin auszubilden. Schon während des Studiums hab ich gemerkt, dass mir das nicht liegt. Ich wollte frei sein in der Wahl meiner Projekte.»
2009 entschied sie sich deshalb, ihre Nebenjobs als Grafikerin an den Nagel zu hängen und sich 100 Prozent auf das Künstlersein zu konzentrieren. «Meine Familie war anfangs nicht sonderlich begeistert. Aber ich wusste, dass ich schon irgendwie durchkommen würde. Auch mit sehr wenig Geld auf dem Konto.»
Unterstützt wurde sie immer von Freunden und ihrem Bruder. «Wenn es mal knapp wurde in einem Monat habe ich von ihnen Geld ausgeliehen. Dieses konnte ich dann noch immer im nächsten Monat dank dem Verkauf eines Bildes wieder zurückzahlen.»
Geld ist kein grosses Thema
Sie brauche auch nicht viel zum Leben. Geld sei für sie einfach kein grosses Thema. Viel wichtiger sei es ihr ein cooles Leben zu haben, das machen zu können, was sie will. Deshalb habe sie auch keine Lust gehabt an der diesjährigen Manifesta in Zürich irgendwie mitzuwirken.
Unter dem Titel «What people do for money» suchen Künstler Antworten auf Fragen zu Geld und Beruf. Fragen, die Hürst schlicht nicht interessieren. «Klar man braucht Geld, um Essen zu kaufen, um die Miete zu bezahlen, aber mehr auch nicht. Ich will mir darüber auch so wenig wie möglich Gedanken machen.»
Enttäuschend normal
Mit dieser Einstellung bedient Hürst ein Stück weit den Mythos der prekär lebenden Künstlerin. Auch, wenn diese Phase hinter ihr liegt und sie heute ganz gut von ihrer Kunst leben kann. Allerdings kann sie mit diesen stereotypen Bildern, die Menschen von Künstlerinnen im Kopf haben, nicht viel anfangen.
«Viele Menschen erwarten doch von uns Künstlern, dass wir besonders crazy sind. Sie sind dann manchmal fast enttäuscht, wenn sie merken wie normal ich bin». Exzentrisch ist Hürst wohl tatsächlich nicht. «Normal» scheint aber auch nicht das richtige Wort für diese zackige Frau zu sein.
Im Gespräch wirkt sie temperamentvoll, selbstbewusst und bodenständig. Ihre Liebe zur Kunst und zur Musik wurzelt in der Hip-Hop-Kultur. Diese laute Unbequemlichkeit, die guten Hip-Hop ausmacht, die scheint auch Maja Hürst verinnerlicht zu haben.
Die Nacht ist die einzige Konstante
Konventionen, Alltag und Routine sind Dinge, die Maja Hürst wenn möglich unterläuft oder vermeidet. «Jeder Tag sieht bei mir ein bisschen anders aus. Die einzige Konstante ist, dass ich ein totaler Nachtmensch bin. Am Morgen lese ich vielleicht und trinke lange Kaffee. Am Nachmittag habe ich Verabredungen oder bearbeite E-Mails. Gegen Abend beginne ich kreativ zu arbeiten.»
Wenn es Abend wird, legt Maja Hürst ein Hörspiel ein, stellt den Kopf ab und legt los. In ihrem Atelier auf Leinwand, Holz oder anderen Materialien. Sie experimentiert gerne, sucht nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.
Bilder weggeben fällt ihr nicht schwer
Ob sie im öffentlichen Raum auf grossen Wänden arbeitet oder im Atelier, für ihr Gefühl dem Werk gegenüber spiele das keine Rolle: «Wenn ich das Bild fertig habe, gebe ich es ab. Dann ist es nicht mehr meins. Ich hänge nicht gross an meinen Bildern, es ist eher der Schaffensprozess, der mich beflügelt.»
So uneitel wie die Künstlerin, wirken auch ihre Bilder: Sie sind von einer bestechenden Ehrlichkeit. Sie regen trotz oder gerade wegen ihrer geometrischen Formen die Fantasie an und machen Lust auf feuchtwarme Abende in den Tropen, Waldspaziergänge oder auch lange Nächte in vibrierenden Grossstädten. Nächte, in denen man vielleicht ganz unverhofft auf ein Werk dieser wachen Künstlerin stossen mag.