Pipilotti Rists Künstlername ist eine Hommage an die Kinderbuchfigur Pippi Langstrumpf. Pippi sieht die Welt so, wie sie sie sehen will und nicht so, wie andere Leute glauben, dass sie gesehen werden sollte. Sich ein eigenes Bild vom Leben machen zu wollen, ohne Konventionen zu folgen: Das ist ein selbstbewusstes Unterfangen, sowohl für eine Kinderbuchheldin wie auch für eine Künstlerin.
Extreme Nähe, extreme Blickwinkel
Pipilotti Rist richtet den unverstellt neugierigen Blick in ihren Videos und Installationen vor allem auf Körper. Weibliche Körper. Dabei geht sie mit Humor und einer sich naiv gebenden Kühnheit vor.
In der abendländischen Kunstgeschichte ist der weibliche Körper ein beliebtes Sujet – doch meist aus männlicher Perspektive betrachtet. Rist setzt dem den eigenen Blick entgegen. Dabei geht sie nah heran. Wie in «Pickelporno», einer Arbeit von 1992, in der sie eine Fisheye-Kamera dicht an den Körpern eines nackten Paares entlangfahren lässt.
Pipilotti Rist arbeitet gern mit extremen Blickwinkeln, veränderten Farben und verzerrten Strukturen. So entsteht eine Distanz zu den glatten Oberflächen, wie sie etwa in erotisch aufgeladenen Werbebildern zu finden sind. Rist setzt bewusst unattraktive Bilder oder Gegenstände ein. Zum Beispiel in dem mit Unterhosen garnierte Kronleuchter «Eyeball Massage».
Der Titel klingt prickelnd. Doch die Unterhosen, die Rist verwendet hat, sind es nicht. Sie sind möglicherweise praktisch. Mehr nicht. Pipilotti Rist betreibt mit ihren Arbeiten eine Selbstbefragung zu Weiblichkeit, Sexualität und Körperlichkeit, bei der sie traditionell mit dem weiblichen Körper verbundenen Ideen wie Schönheit oder Verführungskraft eine Absage erteilt.
«Nackt bin ich besser!»
Es gibt Vorreiterinnen, die diese widerständige Art, sich mit dem weiblichen Körper zu beschäftigen, in die Kunstwelt hineingetragen haben. Eine von ihnen ist die Dadaistin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven, die in den 1910er-Jahren in New York Furore machte.
Sie ging in selbstgebastelten Kostümen durch die Strassen und schockierte die braven Bürger. Sie rasierte sich den Schädel und malte ihn zinnoberrot an. Sie hängte sich einen Vogelkäfig mit Vogel drin um den Hals. Oder sie ging nur mit einem Mantel bekleidet hinaus, öffnete den Mantel und rief forsch: «Nackt bin ich besser!»
Geboren 1874 als Else Hildegard Ploetz in Swinemünde an der Ostsee. Über abenteuerliche Umwege kam sie in die USA und nach New York. 1913 heiratete sie Leopold Freiherr von Freytag-Loringhoven. Auf dem Weg zum Standesamt fand sie auf der Strasse einen Ring, den sie auflas und zum «enduring object» erklärte – zum andauernden Objekt. Aus dem Augenblick heraus schuf sie so eine ironische Anmerkung zur bürgerlichen Ehe.
Elsa von Freytag-Loringhoven hatte nicht viel übrig für Konventionen. Sie liebte Männer. Und sie liebte Frauen. Und sie sprach offen über Sex – in einer Zeit, in der anständige Frauen dieses Wort nicht einmal buchstabiert hätten. Sie schrieb Gedichte, in denen sie lässig mit Silben und Satzzeichen, Buchstaben und Begriffen jongliert und in denen es oft auch kräftig erotisch knackt und knistert.
Posieren mit Propellerhütchen
Sie liebte Marcel Duchamp, der ihre Gefühle nicht erwiderte, und schuf 1920 ein «Portrait von Marcel Duchamp». Es besteht aus einem Weinglas, versehen mit Federn und Zweigen, einem Zahnrad, Getriebe und Angelköder. Dieses Objekt ist – wie viele andere Arbeiten Elsa von Freytag-Loringhovens – nicht erhalten.
Die Dada-Baroness lebt vor allem in den Berichten über ihre legendären Performances fort. Und in einigen Fotografien, die sie in ihren exzentrischen Kostümen zeigen. Da posiert sie zum Beispiel in dunkel-hell gestreifter Hose mit einer Art Propeller auf dem Kopf. Oder wie ein Storch auf einem Bein balancierend mit einem Kopfputz voller Federn. Ihre Kostüme sind phantastisch und schräg. Und sie geben sich keinerlei Mühe, dem Zeitgeschmack oder irgendwelchen Klischeebildern weiblicher Grazie zu folgen.