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Kunst Völlig Dada: Ein World Wide Web aus Schere und Papier

Was ein paar junge Leute vor 100 Jahren in Zürich, New York oder Berlin erfanden, war revolutionär. So bahnbrechend, dass wir noch heute nur staunen können, wie visionär die Dadaisten waren. Und wie sehr sie unser Leben und Denken vorwegnahmen.

Dada war die erste internationale Kunstbewegung. Ohne Zentrum und ohne Grenzen. Anti-hierarchisch. Offen für alle, die mitmachten wollte. Dada, das war vielsprachig, jung, vernetzt. Internet avant la lettre.

Das Netzwerk: Das waren die jungen Leute selbst, keiner älter als 30, und sie kamen aus allen Himmelsrichtungen. Ihr Netzwerk waren allen voran die Magazine, die sie selber gestalteten – und wie kleine Informationspakete in die Welt hinausschickten, um sich gegenseitig zu informieren und zu inspirieren. Auch durch geschlossene Grenzen hindurch.

Legende zur Karte

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Unsere Auswahl der Dadaisten unterteilt sich in die folgenden vier Gruppen: Präsidenten (Kerngruppe), Oberdadas (sehr aktive Mitglieder), Überdadas (haben die Dadaisten beeinflusst), heutige Dadas und User Dadas (User-Vorschläge). Welche heutigen Dadas fehlen? Senden Sie uns Ihre Vorschläge. Ausgewählte Vorschläge werden in unsere Karte eingefügt.

Dada-«Fanzines»

Von allem Anfang an waren diese Dada-«Fanzines», wie wir solche Hefte wohl heute nennen würden, Träger und Teil der Dada-Bewegung. Hugo Ball und Emmy Hennings, die Gründer und Mieter eines Hinterzimmers der Meierei, das sie «Cabaret Voltaire» nannten, gründeten auch ein gleichnamiges Magazin, eben das «Cabaret Voltaire», in dem sie ihre Idee und ihren Wunsch für ihre Künstlerkneipe gleich erläuterten.

«Das kleine Heft, das wir heute herausgeben, verdanken wir unserer Initiative und der Beihilfe unserer Freunde in Frankreich, Italien und Russland», schreibt Hugo Ball im Vorwort. «Es soll die Aktivität und die Interessen des Cabarets bezeichnen, dessen ganze Absicht darauf gerichtet ist, über den Krieg und die Vaterländer hinweg an die wenigen Unabhängigen zu erinnern, die anderen Idealen leben. Das nächste Ziel der hier vereinigten Künstler ist die Herausgabe einer Revue Internationale. La revue paraîtra à Zurich et portera le nom ‹DADA› (‹Dada›) Dada Dada Dada Dada.»

Blutiger Ernst

Big Dada

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1916, Erster Weltkrieg: Europa blutet. Nur in der kleinen Oase Schweiz herrscht vermeintlich Ruhe. Dort gründen Künstler Dada und revolutionieren die Kunst. Zum 100. Geburtstag begibt sich SRF Kultur auf Spurensuche – im Radio, Fernsehen und online. Denn: Dadas Geist lebt. SRF Kultur weiss wo.

www.srf.ch/bigdada

Tristan Tzara, der nicht einmal 20-jährige Rumäne und Dada-Mitbegründer, nahm den Ball auf und publizierte in der Folge seinerseits verschiedene eigene Zeitschriften und weitere Publikationsformen. Auch in New York, wo Dada ab 1917 wirklich Feuer fing, und in Berlin entstanden ebenso freche wie fulminante Künstlermagazine, mit Namen wie «Der blutige Ernst».

Diese Künstler-Publikationen waren vielleicht das, was heute Blogs und Webseiten sind. In einer Zeit, in der die Information noch eine Hierarchie durchlaufen musste, kontrolliert war oder ist – politisch oder ökonomisch – waren die Künstlermagazine wie eine Art «Blog», eine Website in jenem Sinne, als dass sie eine freie Information darstellten. Mit ihren Texten und Abbildungen ihrer Werke, Collagen und Persiflagen praktizierten und propagierten die Dadas eine direkte, freie Öffentlichkeit, als wären es die Anfänge des World Wide Webs.

World Wide Dada: Mit Dada nahm in der Schweiz eine der prägendsten Kunstbewegungen der Moderne ihren Anfang. Und hier wurde am Ende des 20. Jahrhunderts der Grundstein für eine weitere Revolution gelegt, welche wie Dada die Kulturtechniken und die Welt grundlegend verändert – ausgerechnet in der Schweiz, wo es zweimal niemand erwartet hätte: Die Erfindung des World Wide Webs durch Tim Berners Lee 1989 am CERN bei Genf. Zweimal ist die Schweiz Ort und Hort einer Revolution, die erst fast unmerklich und gleichzeitig so grundlegend unsere Welt verändert haben.

Das Ende des Genies

Anita Hugi

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Die Übersetzerin, Journalistin und Autorin ist seit 2005 verantwortliche Redakteurin der SRF-Dokumentarfilmssendung «Sternstunde Kunst».

Ausserdem ist sie Koautorin des Webdokprojekts «Dada-Data», welches das Thema der Vernetzung der Dadas weiterführt und in vielen Aspekten behandelt.

Dada war dabei grenzenlos auch was die Autorenschaft anbelangte. Denn Dada war die erste kollaborative Kunstform. Die Dadas stiessen das «Künstlergenie» vom Sockel, weil sie angesichts des Schreckens, welche mit dem Ersten Weltkrieg über Europa hereinbrach, nicht mehr an das Genie des Menschen zu glauben vermochten. Sie setzten dem menschlichen Grössenwahn ein Ende und suchten anstatt Überlegenheit die Zusammenarbeit und den Zu-Fall, der durch das Zusammengehen entstand.

Last but not least: Was, wenn nicht ein Hypertext vor dem Hypertext ist die Collage, welche die Dadas vor 100 Jahren prägten und populär machten. Eine Welt, die in Fetzen geflogen war, setzten sie neu zusammen. Oftmals provokativ, um aufzurütteln. Die Collage, das ist das erste «Copy and Paste», Reflexion und Aktion, Mix und Remix, Zerstörung und neuer Sinnzusammenhalt.

Oder, wie es Künstlerin Hannah Höch sagte: Die Collage, das bedeutet «etwas Schönes und ewig Freudiges zu erschaffen aus Teilen, von denen man weder Schönheit noch Freude erwartet hätte.» En avant Dada! Lang lebe World Wide Dada.

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