Wie andere Länder Europas soll auch die Schweiz eine nationale Kommission erhalten – für strittige Fälle von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken, kurz NS-Raubkunst. Das fordern nicht nur die Historikerinnen und Historiker der Bergier-Kommission, sondern auch eine Motion von SP-Nationalrat Jon Pult.
Der Bundesrat hat sich dazu noch nicht geäussert und auch das Bundesamt für Kultur (BAK) schweigt. Die zuständige «Anlaufstelle Raubkunst» hat jedoch 2016 Anfragen von SRF beantwortet – wenn auch ausweichend: Die Schweiz habe zu wenige Fälle, um eine solche Kommission einzuführen.
Arbeit gäbe es genug
Der Schweizer Historiker Raphael Gross ist anderer Meinung. Er leitet das Deutsche Historische Museum in Berlin und ist Mitglied der deutschen «Limbach-Kommission», die hochoffiziell den langen Namen «Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz» trägt.
Zu wenige Schweizer Fälle erwartet Experte Gross nicht. Zudem gibt er zu bedenken: «Mit der Unterzeichnung der Erklärungen von Washington und Theresienstadt hat sich die Schweiz bereit erklärt, solch eine Kommission einzurichten.»
Zu fairen Lösungen verpflichtet
Die «Washingtoner Prinzipien» aus dem Jahr 1998 und die «Theresienstädter Erklärung» (2009) bilden die internationale Grundlage für den Umgang mit NS-Raubkunst. Beide gelten als Soft Law, beide hat die Schweiz unterzeichnet. Damit verpflichtet sie sich, NS-Raubkunst zu identifizieren, strittige Eigentumsfragen zu klären und «faire und gerechte Lösungen» zu finden.
Auch darum unterstützt der Bund seit 2016 die Schweizer Museen in der Erforschung der Herkunft ihrer Objekte (Provenienzforschung) und finanziert 50 Prozent der Kosten. Über 3.5 Millionen Franken flossen dafür bisher von Bundesseite.
Zusammensetzung entscheidend
Die unabhängige Kommission, die nun von Expertinnen und Experten gefordert wird, würde diese Massnahmen ergänzen. Raphael Gross stellt aber auch klar: mit der Einführung einer solchen Kommission allein sei es nicht getan. Entscheidend sei, wie sie ausgestattet und zusammengesetzt werde.
Gross setzt sich nach den deutschen Erfahrungen mit der «Limbach-Kommission» etwa dafür ein, dass jüdische Mitglieder in der Kommission vertreten sind. «Damit wurde in Deutschland die Akzeptanz erhöht.»
Aufsehenerregende Empfehlungen
Die kürzlich abgegebene Empfehlung der «Limbach-Kommission» im Fall von Franz Marcs Gemälde «Die Füchse» zeigt, wie schwierig die Arbeit ist. Empfohlen wurde die Rückgabe des Bildes an die Erben des einstigen Eigentümers, Kurt Grawi, obwohl der jüdische Sammler das Bild in den sicheren USA verkaufte. Damit ist dieser Fall in der Ausgangslage vergleichbar mit den sogenannten Fluchtgut-Fällen in der Sammlung Bührle.
Man habe sich die Entscheidung im Fall der «Füchse» nicht leicht gemacht, so Raphael Gross. Den Ausschlag für die Empfehlung zur Rückgabe gab, dass Grawi das Bild nur verkaufte, weil er flüchten musste.
«Der Verkauf ist unmittelbar mit seiner Verfolgung durch den Nationalsozialismus verknüpft», erklärt Raphael Gross. In solchen Fällen geben die Washingtoner und Thereresienstädter Erklärungen die Suche nach «fairen und gerechten Lösungen» vor.
Es wäre spannend zu erfahren, zu welchen Schlüssen in ähnlich gelagerten Fällen eine Schweizer Kommission kommen würde.