Ein spektakulärer Fund
22. September 2010
Cornelius Gurlitt wird im Eurocity-Zug zwischen München und Zürich von deutschen Zöllnern zweimal kontrolliert. Bei der Hinfahrt rätseln die Beamten über den Aktenkoffer des Mannes, in dem drei leere weisse Briefumschläge liegen.
Als Gurlitt am Abend wieder nach München zurückfährt und von Beamten durchsucht wird, fehlt im Koffer ein Umschlag. Er steckte in Gurlitts Brusttasche, darin liegen 9000 Euro in 500-Euro-Scheinen.
Gurlitt gibt an, das Geld stamme von Kunstverkäufen beim Berner Kunsthändler Eberhard W. Kornfeld. Weil Gurlitt keinem deutschen Finanzamt bekannt ist, glauben die Ermittler, er umgehe die Steuern über seinen zweiten Wohnsitz in Salzburg.
28. Februar 2012
Fahnder durchsuchen im Rahmen des eingeleiteten Verfahrens Gurlitts Wohnung in München-Schwabing und beschlagnahmen 1259 Kunstwerke. Die Aktion wird später kritisiert: Ist ein mögliches Steuerstrafverfahren Grund genug, eine Kunstsammlung zu konfiszieren und über Jahre nicht zurückzugeben?
Legitimiert wird die Beschlagnahmung durch den Verdacht, dass sich in der Sammlung Gurlitt Raubkunst befindet, zumal Gurlitts Vater Hildebrand offizieller Kunsthändler des Naziregimes war. Der Fund in München bleibt vorerst geheim.
3. November 2013
Ein «Focus»-Journalist ruft in der Berner Galerie Kornfeld an und fragt den Kunsthändler, ob ihm der Name Cornelius Gurlitt bekannt sei. Kornfeld bejaht. Am 3. November macht «Focus» den Fall Gurlitt publik.
Der «Focus»-Artikel beendet die Schattenexistenz Gurlitts auf einen Schlag. Auch der Berner Kunsthändler Kornfeld steht plötzlich im Mittelpunkt. Das Nachrichtenmagazin schreibt von einem «Nazi-Schatz in Milliardenhöhe» – eine starke Übertreibung.
Unter Verdacht
11. November 2013
Die Taskforce «Schwabinger Kunstfund» wird eingesetzt. Die internationale Expertengruppe soll unter der Leitung der Verwaltungsjuristin Ingeborg Berggreen-Merkel die Herkunft der Bilder erforschen und klären, ob sich unter den sichergestellten Bildern Raubkunst befindet.
Bereits einen Tag später werden 25 Werke auf Lostart.de dokumentiert. Über die Plattform sollen Werke von ungeklärter Provenienz zu den Nachfahren einstiger Besitzer finden.
28. Januar 2014
Die Taskforce gibt bekannt, dass nach einer ersten Sichtung 458 Werke aus Gurlitts Sammlung unter Raubkunstverdacht stehen. Gurlitt gibt über seine Entourage bekannt, er sei bereit, mit Anspruchstellern zu sprechen.
10. Februar 2014
Rechtsvertreter und weitere Personen aus dem Umfeld von Cornelius Gurlitt stellen in Gurlitts Haus in Salzburg-Aigen 238 weitere Werke sicher, darunter zahlreiche Gemälde von bedeutenden Malern.
Ein überraschendes Erbe für Bern
7. April 2014
Gurlitts Anwälte unterzeichnen einen Vertrag mit der Bundesregierung. Darin erklärt sich der Kunsthändler bereit, Bilder freiwillig zurückzugeben, bei denen es sich um Naziraubkunst handelt.
6. Mai 2014
Cornelius Gurlitt stirbt 81-jährig in seiner Münchner Wohnung, ohne die Sammlung noch einmal gesehen zu haben.
7. Mai 2014
Zwei Testamente werden geöffnet. Sie enthalten den Willen Gurlitts, sein Erbe dem Kunstmuseum Bern zu vermachen. Neben den Kunstwerken umfasst das Vermächtnis auch Gold, Wertschriften, Immobilien: die beiden Residenzen in München und Salzburg sowie eine zweite Münchner Wohnung. Das Kunstmuseum Bern wird den Wert 2016 auf 7,6 Millionen Euro schätzen – inklusive jener Bilder mit geklärter Provenienz.
Verteilt hatte Cornelius Gurlitt sein Vermögen auf verschiedene Konten, Schliessfächer und Wohnungen. «Er ist vorgegangen wie ein Eichhörnchen», kommentiert ein Insider des Museums diese Taktik. Das Kunstmuseum Bern hat ein halbes Jahr Zeit, sich zu entscheiden, ob es das Erbe annimmt.
Der grosse Umzug
17. November 2014
Cornelius Gurlitts Cousine Uta Werner (86) und ihr Bruder Dietrich Gurlitt (95) lassen ein Gutachten erstellen: Cornelius Gurlitt sei bei der Testaments-Unterzeichnung nicht zurechnungsfähig gewesen. Eine Anfechtung des Testaments schliessen sie nicht aus.
24. November 2014
Das Kunstmuseum Bern tritt das Erbe an. In Berlin unterschreiben das Museum, die deutsche Bundesregierung und der Freistaat Bayern eine Vereinbarung. Diese sieht vor, dass Bern nur Werke übernimmt, bei denen es sich nachweislich nicht um Raubkunst handelt.
Uta Werner und weitere Gurlitt-Verwandte fechten das Testament an. Ein langwieriger Rechtsstreit beginnt. Die Frage «War Cornelius Gurlitt testierfähig?» wird mit Gutachten und Gegengutachten gerichtlich verhandelt, zunächst am Amtsgericht, dann vor dem Oberlandesgericht München.
15. Dezember 2016
Das Oberlandesgericht München kommuniziert seinen Entscheid: Gurlitt war testierfähig. Damit kann das Kunstmuseum Bern das Erbe antreten.
2. November 2017
Das Kunstmuseum Bern und die Bundeskunsthalle Bonn eröffnen die Doppelausstellung «Bestandesaufnahme Gurlitt. ‹Entartete Kunst› – beschlagnahmt und verkauft». Erstmals werden die Werke einer breiten Öffentlichkeit gezeigt.