Paul Klee: «Grieche und Barbaren» (1920)
Barbarisch sehen die beiden hochgeschossenen Figuren links und rechts tatsächlich aus: Aus dem schiefen Mund ragen krumme, gelbe Zähne, der Blick ist scheel, die Gesichtsbehaarung buschig.
Ganz im Gegensatz zur Figur in der Mitte: Blonde Locken rahmen das Gesicht, über das ein feines Lächeln gleitet. Die Augen: wie Sterne; die Brauen mit Mustern verziert. Die Kopfbedeckung wirkt stattlich, die Kleidung ebenfalls.
Das Blatt ist eine Ölpause. Mit dieser Drucktechnik erzielte Paul Klee seinen typisch malerischen Zeichenstrich auf dem Bild, das er danach nur schwach mit Wasserfarbe kolorierte – abstrahierend und doch deutlich in der Bildaussage: der Edelmann und zwei Rabauken.
Die Herkunft des Werkes
Bis vor wenigen Monaten dachten die Forscher, alle Fragen über die Herkunft des Werks seien beantwortet, der Weg ins Kunstmuseum Bern somit frei. Sie nahmen an, dass «Grieche und Barbaren» 1937 im Landesmuseum Wiesbaden durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und danach vom Kunsthändler Hildebrand Gurlitt übernommen wurde. Doch im Archiv des Landesmuseums finden sich keine entsprechenden Dokumente. Das Rätsel beschäftigt derzeit die Herkunftsforscher in Berlin und Bern.
Es sei möglich, dass das Werk gar nicht beschlagnahmt worden sei, sagt Meike Hoffmann von der Forschungsstelle «Entartete Kunst» in Berlin. Der damalige Museumsdirektor in Wiesbaden, Schenk zu Schweinsberg, habe Hildebrand Gurlitt persönlich gekannt, möglicherweise habe er ihm das Werk vor der Beschlagnahme-Aktion «Entartete Kunst» persönlich verkauft.
«Brisant an der Sache ist, dass Gurlitt in seinem Geschäftsbuch verzeichnet hat, das Werk kurz darauf an einen Privatsammler verkauft zu haben. Was nicht stimmt. Diese Angabe kann aus finanztechnischen Gründen erfolgt sein. Es ist nicht die einzige dieser Art bei Werken, die sich noch heute im Gurlitt-Bestand befinden», so Hoffmann.
Einig sind sich die Forscher in einem Punkt: Nichts deutet darauf hin, dass es sich bei Klees «Grieche und Barbaren» um einen Fall von Raubkunst handelt. Doch die Lücken in der Herkunftsgeschichte haben Gewicht. Das Kunstmuseum Bern hat sich verpflichtet, kein Werk aus der Sammlung Gurlitt zu übernehmen, bei dem Fragen offen sind.
Deshalb hat man zu einem juristischen Trick gegriffen: Werke wie die Zeichnung «Grieche und Barbaren» sind an der Berner Gurlitt-Ausstellung lediglich als Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland zu sehen.
Otto Mueller: «Bildnis Maschka Mueller» (1924/25)
Alles ist schwarz-blau auf diesem Bild von Otto Mueller. An manchen Stellen ist der Unterschied zwischen Hintergrund und Hemd der porträtierten Maschka Mueller – Muellers Ex-Frau – gar nicht mehr auszumachen.
Umso mehr tritt hervor, was in diesem Bild wichtig ist: Augen und Haut – die einzigen Stellen im Bild, die leuchten. Das Licht fällt auf das Gesicht bis tief in den Scheitel, auf den Hals – und dann auf den überraschend tiefen Ausschnitt, der beinahe bis zum Bauchnabel reicht.
Eine erotische Note hat das Bild trotzdem nicht. Vielmehr zeugen die Schatten im Gesicht und die schweren Augenlider von Melancholie, aber auch von Intimität und Vertrautheit zwischen Maler und Modell.
Zur Entstehungszeit dieses Porträts waren Maschka und Otto Mueller bereits geschieden. Trotzdem blieb die Künstlerin dem Maler bis ans Lebensende eine enge Vertraute. «Ich kann nur malen, was ich liebe», so Otto Mueller.
Die Herkunft des Werkes
Die Rückseite des Bildes gibt Aufschluss über dessen Herkunft: Dort stehen die Ziffern «1216» gleich zweimal: als Aufkleber und auf den Rahmen gepinselt. Es ist die Inventarnummer, die das Bild im Kölner Wallraff-Richards-Museum bekam. 1937 wurde das Werk jedoch als «entartete Kunst» beschlagnahmt. Die Nationalsozialisten brachten Muellers Gemälde in ein Depot in Berlin.
Neben dem Aufkleber sind die Reste eines Schweizer Zollstempels zu sehen: Das Bild wurde 1939 bei einer Auktion in der Galerie Fischer Luzern angeboten. In Luzern liessen die Nationalsozialisten Werke versteigern, die sie für «international verwertbar» hielten. Muellers Porträt jedoch fand keinen Käufer.
Es war der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, der das Werk übernahm. Doch er dachte nicht daran, es weiterzuverkaufen, sagt die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann von der Forschungsstelle «Entartete Kunst» in Berlin. Eigentlich wäre er angehalten gewesen, die Spuren zu verwischen und jeden Hinweis darauf zu tilgen, in welchem Museum sich das Bild vor der Beschlagnahmung befunden hatte. Die Tatsache, dass Hildebrand Gurlitt bei Muellers Gemälde darauf verzichtete, deute darauf hin, dass er das Werk von Anfang an behalten wollte, so Hoffmann.
Noch in seinem Todesjahr 1956 gab Hildebrand Gurlitt das Werk als Leihgabe in eine Ausstellung in Hannover. Auch das verrät ein Aufkleber auf der Rückseite des Bildes. Und entlarvt einen Mythos. Provenienzforscherin Nikola Doll: «Das Werk zeigt, dass die Bilder der Gurlitt-Sammlung durchaus im Umlauf und öffentlich zu sehen waren – entgegen der Aussagen, dass die Werke ‹erst jetzt wieder aufgetaucht› seien.»
Édouard Manet: «Marine, Temps d’Orage» (um 1864–1868)
Das Werk «Marine, temps d'orage» gehört zu einer Reihe von Seestücken, die Édouard Manet an der französischen Kanalküste schuf. Einfacher könnte der Aufbau dieses Bildes nicht sein. Gut die Hälfte nimmt das Meer ein, der Rest ist Himmel: Wasser und Luft, Wellen und Sturm.
Wären da nicht die beiden Segelboote, mit wenigen, schnellen Strichen gemalt, das Bild wäre abstrakt – eine erstaunliche Komposition in Anbetracht der Entstehungszeit.
Herkunft des Werkes
Der japanische Kriegsschiff-Produzent und Kunstsammler Kōjirō Matsukata erwarb das Manet-Gemälde 1932. Andrea Baresel-Brand, Leiterin des Projekts «Provenienzrecherche Gurlitt» in Berlin, sagt dazu: «Matsukata übergab ein Konvolut an Kunstwerken einem Treuhänder in Paris, der es sehr wahrscheinlich verkauft hat – ob das in gegenseitigem Einverständnis geschah, wissen wir nicht. Auf das Gemälde wurde von der Achsenmacht Japan nie Anspruch angemeldet. Hier Raubkunst zu vermuten, wäre absurd.»
Andrea Baresel-Brand macht indirekt deutlich, worin die offizielle Aufklärungsarbeit ihre Grenze hat: Die Forscher des Projekts «Provenienzrecherche Gurlitt» klären nur, ob bei einem Werk ein «verfolgungsbedingter Verlust» vorliegt, das Werk also einer Person gehörte, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Dass dieser Manet möglicherweise zu Unrecht verkauft wurde, spielt hier keine Rolle.
Selbst in einer solchen Konstellation kann es jedoch sehr lange dauern, bis ein Werk aus der Sammlung Gurlitt freigegeben wird. Deutschland kann und will sich beim Thema Raubkunst keine Fehler leisten.
Den aktuellen Erkenntnisstand fasst Andrea Baresel-Brand so zusammen: «Er ist noch in der Bearbeitung, aber hat eine starke Tendenz zur ‹Unbedenklichkeit›». So wird Manets «Marine, Temps d'Orage» vorerst nicht in Bern zu sehen sein, sondern in Bonn.