Die mit 81 Jahren verstorbene britische Modedesignerin Vivienne Westwood gilt als «Königin des Punkstils». Der Stil-Experte Jeroen van Rooijen hat sie mehrfach getroffen. Er erklärt, weshalb sie bis zum Schluss wichtig blieb.
SRF: Sie sind Vivienne Westwood mehrmals begegnet. Was ist Ihnen geblieben?
Jeroen van Rooijen: Ich erinnere mich gerne an sie. Sie war eine höfliche und bestimmte Frau, die dem Establishment sehr kritisch gegenüberstand. Ich habe sie Mitte der 90er-Jahre ein paar Mal getroffen. Damals war sie im Gefolge des damaligen Seidenkönigs Andi Stutz oft in Zürich und hat mit ihm Geschäfte mit Stoffen gemacht. Ich empfand sie immer als stilsichere Frau mit viel Geschmack.
Sie galt als Wegbereiterin des Punks in der Modebranche. Was heisst das konkret?
Sie hat zusammen mit ihrem damaligen Mann und Partner Malcolm McLaren die damals führende Punkband Sex Pistols eingekleidet. Sie hat schnell gemerkt, dass der Punk weltweit Wellen schlägt und daraus ein Geschäft gemacht.
Die Punk-Mode ist ihr wichtigstes Vermächtnis.
Auf der King's Road in London hat sie einen Laden betrieben, in dem sie den Punkstil mit zerrissenen Kleidungsstücken und Fetischelementen kultivierte. Das waren ihre Anfänge als Modedesignerin. Nachher hat sie sich weiterentwickelt. Für die breite Masse ist die Punk-Mode aber ihr wichtigstes Vermächtnis.
Wie bedeutend war sie für die Modewelt insgesamt?
Sie war so etwas wie eine Grande Dame, eine Figur ausser Konkurrenz. Es gibt nicht mehr viele in dieser Liga. In England vielleicht noch Paul Smith, in Frankreich Jean Paul Gaultier oder Giorgio Armani in Mailand.
Sie war einfach eine Nummer für sich.
Vivienne Westwood gehört zu den Titanen der 80er- und 90er-Jahre. Sie hat eine 50-jährige Karriere in der Mode gemacht. Das macht heute so schnell keiner mehr, vor allem nicht unter eigenem Namen und auf eigene Faust. Ihr Label gehört zu keinem der bekannten Modekonzerne oder Luxuskonzerne. Sie war einfach eine Nummer für sich.
Sie hat auch als Umweltaktivistin auf sich aufmerksam gemacht und etwa den Klimawandel auf den Laufsteg gebracht. Wie sehr hat sie das ausgemacht?
Westwood hat sich auch für das Tierwohl und gegen Pelze eingesetzt und für Gendergerechtigkeit gekämpft. Man solle weniger und besser konsumieren, hat sie gefordert. Und das als Modedesignerin! Mode ist ja schon der Definition nach ein Konsumgut.
Mode war für sie ein Beitrag zur Debatte.
Es ist schon bemerkenswert, wenn man sein eigenes Tun so kritisch hinterfragt. Das zeugt davon, wie sehr Mode für sie nicht nur Oberfläche war, sondern ein Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte.
«Kauft meine Mode nicht!», soll Westwood gesagt haben. Weiter kann man kaum gehen.
Das ist sehr konsequent und führt bei Fans der Marke natürlich dazu, dass man dann vielleicht nur noch diese Mode kauft.
Was bleibt von Vivienne Westwood? Was sehen wir heute noch von ihr auf der Strasse?
Wenn Sie je ein T-Shirt mit einem Slogan getragen haben, haben Sie das ihr zu verdanken. Sie war die Erste, die diese T-Shirts in den 80er-Jahren kommerzialisiert hat, mit Slogans, die doppeldeutig und tiefgründig waren.
Wenn Sie heute Frauen in Bustiers sehen, die sie wie eingeschnürt wirken lassen und die ihnen trotzdem sehr viel Selbstbewusstsein und Macht geben, dann geht das auch auf Westwood zurück. Dieser Mix von Punk, von historisierender Kleidung und von Streetwear, dieses Modemachen über die Grenzen der Genres hinweg, das hat sie gekonnt wie keine andere.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.