George Steinmann, Sie haben vergangenen Herbst auf dem Rhonegletscher ein Konzert gegeben. Ein ungewöhnlicher Ort für ein solches Unterfangen. Was wollten Sie damit bezwecken?
Das Konzert war ein Teil meines Projektes «Symbioses of Responsibility» für die Klimakonferenz in Paris, auf die ich vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und dem Kuratorium «Artport Paris» eingeladen wurde. Das Konzert wurde gefilmt und ungefiltert mit der ganzen Geräuschkulisse der Natur aufgenommen, um dann im Dezember im Grand Palais in Paris uraufgeführt zu werden.
Ich habe den Gletscher als Konzertort gewählt, weil er wie wenig andere Orte explizit zeigt, was in der Natur momentan passiert: Die Klimaerwärmung ist real, Gletscher schmelzen, das ist ein tragischer Fakt.
Der Blues den ich gespielt habe, ist eine Metapher dafür, dass das Klima und die Gletscher den Blues haben. Ein Trauerlied für das Klima also, das meine tiefste Betroffenheit ausdrücken soll.
Weshalb sollte sich ein Künstler Ihrer Meinung nach mit Themen wie dem Klimawandel beschäftigen?
Meine Ansicht ist hier sehr dezidiert: Kunst ist eine Wissensform, die für die Krisensituation, in welcher sich unsere Welt momentan befindet, unabdingbar ist. Denn die Kunst verfügt über einen anderen, einen komplementären Wissenszugang.
Sie ergänzt dabei die Wissenschaft und die Politik. Kunst kann Menschen verändern. Sie kann den sozialen Zusammenhalt stärken, gesellschaftlichen Wandel bewirken und zwischen Gemeinschaften Brücken schlagen.
Ein Künstler ist heute nicht mehr nur für schöngeistige und dekorative Elemente zuständig. Er will als emanzipiertes Mitglied an den Entscheidungsprozessen der Welt partizipieren.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Kunst seit über 20 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit. Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?
Ganz simpel ausgedrückt: Nachhaltigkeit bedeutet Verantwortungsbewusstsein für die Mitwelt und kommende Generationen. Diese Verantwortung können wir nicht delegieren und deshalb verpflichtet sie uns.
Nachhaltigkeit erschliesst sich aus der Erkenntnis, dass alles in Wechselwirkung miteinander steht. Hier interessiert mich der Dialog – die Kooperation. Sie entsteht im Wissen darüber, dass die gesellschaftliche Realität im 21. Jahrhundert zu komplex geworden ist, als dass wir uns den Luxus einer disziplinären Vereinfachung noch leisten können. Deshalb unterstütze ich mit meinen Werken auch ein transdisziplinäres und ganzheitliches Bewusstsein.
Beitrag zum Thema
Insofern sehe ich Kunst nicht nur als Instrument zur Beschreibung der Welt. Sondern als Treiberkraft, mit deren Hilfe die Welt in ihrem Zusammenhang wahrgenommen und geachtet werden kann.
Kunst hat die Qualität, im Heute das Morgen zu erraten. Ja, ich würde noch weitergehen: Das Gestaltungswissen der Kunst ist unabdingbar im Horizont der Nachhaltigkeit.
Wie manifestiert sich Nachhaltigkeit in Ihrer eigenen Kunst?
Sowohl in den grossen Werkprozessen wie auch in den Skizzen thematisiere ich die Verwendung und Entsorgung von Werkstoffen. Seit 25 Jahren verwende ich zum Beispiel keine petrochemischen Produkte mehr, sondern lediglich Naturmaterialien: vom FSC-zertifizierten Holz, über Büttenpapier, bis hin zu den Farben. Diese stelle ich selber aus Pflanzen- und Beerensäften, oder aus Naturpigmenten her.
Dazu bin ich viel in der Natur unterwegs. Im Sammeln manifestiert sich ein anderes Bewusstsein für das Material. Die Farbsubstanzen widerspiegeln etwa die Zyklen der Natur, das stetige Werden und Vergehen. Sie verweisen aber auch auf ein anderes Verständnis von Raum und Zeit.