In Kürze verwandelt sich Basel wieder für ein paar Tage in eine Weltstadt. Die Art Basel und zahlreiche Nebenmessen öffnen ihre Tore und ziehen Kunstinteressierte aus der ganzen Welt an: Galeristinnen, Künstler, Kunstsammlerinnen – und Kunstberater. Sie sind auf der Suche nach den besten Stücken für ihre Kundschaft.
Einer von ihnen ist Tilman Kriesel mit seinem Hamburger Kunstberatungsgeschäft. Wer sich von Kriesel beraten lässt, wird in sein Motto eingeweiht: «Wir kaufen erst mal nichts.» Also besucht man ein halbes Jahr lang Ausstellungen und Messen, oder Kriesel schickt der Kundin Mails mit Tipps und Hinweisen.
Vom Architekten zum Kunstsammler
Tilman Kriesel spricht mit der Ruhe eines Mannes, der sich keine Sorgen um Geld machen muss. Er ist der Enkel von Bernhard und Margrit Sprengel. Das Ehepaar hatte im Laufe des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Sammlung angelegt, aus der das Sprengel Museum in Hannover hervorging.
Sprengel-Spross Kriesel studierte Architektur an der ETH Zürich, bevor er sich entschied, «statt Häuser nun Sammlungen aufzubauen». Der gedämpfte, nachdenkliche Tonfall verrät: Kriesel gehört wohl nicht zu den scharfen Hunden der Kunstwelt.
Diese Wesensart scheint ihm auch zu helfen, wenn er zwischen Kunstschaffenden und Sammlern vermittelt. Wer die Dienste von Kriesel in Anspruch nimmt, verrät der 40-Jährige nicht – noblesse oblige.
Honorar eines Anwalts
Die «Zusammenarbeit» ist vertraulich, intim und auf längere Zeit angesetzt. Fast wie eine Freundschaft, nur eben bezahlt: von Leuten, bei denen Geld keine Rolle spielt.
Sein Honorar sei vergleichbar mit demjenigen eines Anwalts oder eines Architekten, so Kriesel. Dazu kommt eine Provision, wenn ein Kunstwerk gekauft wird.
Wenn es Käufern nur um den Preis geht, muss man sich fragen, ob das Medium Kunst das richtige Mittel ist, um sein Umfeld zu beeindrucken.
Als erstes wird aber ein Profil erarbeitet: Was interessiert den zukünftigen Sammler? Gibt es Vorlieben? Wie gross ist das Budget? Danach beginnen Kriesels Recherche, die Exkursionen, der Austausch mit der Kundin.
«Die Atmosphäre kann schnell vergiften»
Nicht immer sei die Zusammenarbeit einfach. Zum Beispiel, «wenn die Kunst dazu genutzt wird, sich gesellschaftlich zu profilieren».
Kriesel erzählt, wie solche Kunden Kriterien, mit denen sie beruflich erfolgreich wurden, auf Künstler übertragen: Die Kunstschaffenden werden dann nicht für deren Inhalte wertgeschätzt, sondern die Werke auf den materiellen Wert reduziert.
«Da stehe ich zwischen Künstler und Käufer und komme in die Bredouille. Die Atmosphäre kann so schnell vergiften», sagt Kriesel. «Wenn es den Käufern nur um den guten Preis geht, muss man sich auch fragen, ob das Medium Kunst überhaupt das richtige Mittel ist, um sein Umfeld zu beeindrucken – da gibt es noch viele andere Möglichkeiten, sich zu profilieren.»
Die Kundschaft bekehren
Und trotzdem: Kunst und Markt lassen sich kaum voneinander trennen. Natürlich gibt es die Sammlerinnen, die nur aus Idealismus Kunst kaufen – davon gleich mehr.
Aber es gibt auch das andere Extrem: die Spekulation. Zum Beispiel, wenn Sammlungen im Auftrag von Banken, Versicherungen oder Firmen entstehen. Hier ist der Marktwert oft ausschlaggebend, der Inhalt der Kunst weniger.
Wie geht Kriesel mit Kunden um, die eine Sammlung in erster Linie als Investition betrachten? Der Kunstberater findet das legitim: «Es macht auch den Reiz aus, die Kunst mit Geld zu betrachten. Auch der Künstler muss ja seinen Anspruch monetär durchsetzen.»
Letztlich hat Kriesel dann aber doch eine Mission: «Vielleicht ist das Bewusstsein des Kunden noch gar nicht gewachsen, was Kunst sonst noch leisten kann.» Sammeln ohne Leidenschaft für Kunst – das lässt Kriesel also nicht durchgehen und versucht, seine Kundschaft zu bekehren.
Erfolgreiches Kunstsammlerpaar
Diese Leidenschaft fürs Sammeln ist bei Christian Boros schon lange vorhanden. Der 54-jährige Medienunternehmer kommt ins Schwärmen, wenn er über die Kunst redet. Seit er 18 Jahre alt ist, gibt er Geld dafür aus.
Boros und seine Frau sind ein sehr erfolgreiches Kunstsammlerpaar. Seit über zehn Jahren werden Karen und Christian Boros in der alljährlichen Artnews-Liste der 200 «Top Collectors» aufgeführt.
Ein Bunker für Kunst
2003 kaufte Boros, der in Polen zur Welt kam und in Köln aufwuchs, den ehemaligen Reichsbahnbunker an der Berliner Friedrichstrasse. Der Nazibau diente nach dem Krieg als Gefängnis der Roten Armee, war dann ein Lager für Südfrüchte aus Kuba und nach dem Mauerfall ein legendärer Techno-Schuppen.
Den Bunker baute Boros zu seinem ganz persönlichen Ausstellungshaus um. Heute kann das Publikum dort auf Voranmeldung die Werke aus seiner Sammlung besichtigen.
Als Sammler gibt man immer mehr aus, als man eigentlich bezahlen will.
Dazu gehören Werke namhafter Künstlerinnen und Künstler von 1990 bis in die Gegenwart – aktuell zum Beispiel Peter Piller oder Pamela Rosenkranz, zuvor unter anderen Ai Weiwei, Olafur Eliasson, Alicja Kwade, Klara Lidén, Thomas Ruff, Sarah Lucas und Wolfgang Tillmans.
Über den Ausstellungsräumen liess sich Boros ein Penthouse bauen. Dort wohnt er mit seiner Familie. Zu Spekulationszwecken schafft sich der Sammler seine Werke nicht an – das Geld verdient Boros vor allem mit seiner Kommunikationsagentur.
«Es ist immer eine Selbstnötigung»
Der Kunstmarkt macht oft durch extrem hohe Preise von sich reden. Ab wann ist ein Preis nicht mehr verhältnismässig? «Als Sammler gibt man immer mehr aus, als man eigentlich bezahlen will. Es ist immer eine Selbstnötigung», so Boros. Aber: «Diese Unvernunft ist Teil davon.»
Man kauft ja nicht das Material. Man kauft manifestierte Gedanken.
Er könne nachvollziehen, dass man für mehrere 100 Millionen einen Da Vinci kaufe: «Wenn man das historisch betrachtet, ist das gar nicht neu. Auch im Venedig der Renaissance gaben Menschen ein Mehrfaches eines Hauses für Kunst aus. Nur die Zahlen sind neu.»
«Man kauft manifestierte Gedanken»
Warum denn also die ganze Unverhältnismässigkeit? «Man kauft ja nicht das Material, sondern etwas Übergeordnetes. Man kauft manifestierte Gedanken. Ein Künstler spricht durch seine Kunst eine nonverbale Sprache. Es gibt kaum eine grössere Befriedigung, als sich dafür zu interessieren, was die Meinung eines anderen ist. Manche Künstler sind so genial, dass man das kaum mit Geld aufwiegen kann.»
Durch Kunst mit anderen Menschen in Dialog treten: Das ist also Boros’ Triebfeder – koste es, was es wolle. Einen Berater wie Tilman Kriesel braucht er nicht. Viel lieber unterhält sich Boros direkt mit Kunstschaffenden – etwa mit Olafur Eliasson, wie er selbst erzählt: «Künstler sind unmittelbar, am wenigsten geldgetrieben, am ehrlichsten.»
Kunst muss irritieren
Damit er sich für den Kauf eines Werkes entscheide, gebe es für ihn nur ein Kriterium: den Grad der Irritation. «Ein Kunstwerk, das ich nicht verstehe, bereichert mich intellektuell. Dann will ich es haben, denn es hat mich weitergebracht.»
Ein «Gefällt mir» ist also für Boros kein Grund, ein Werk zu kaufen – im Gegenteil. Obwohl oder gerade weil er sagt, dass ihm Kunst sehr häufig gefalle.
Und doch gibt es in seiner Sammlungsbiografie Fehlkäufe. Natürlich werden auch hier keine Namen genannt. Es seien allerdings meist diejenigen Werke «mit einer süsslichen Anziehungskraft», wie Boros es beschreibt. Nach ein paar Jahren merke man, dass das Werk wenig Tiefgang hat.
Man hat sich beim Kauf also vom «Wow-Effekt» verleiten lassen. Das passt zu Kunstberater Kriesels Motto «Wir kaufen erst mal nichts».
Qualität braucht Zeit
In diese Richtung geht denn auch Kriesels Rat für die Art-Woche: «Man sollte mit dem Anspruch auf die Messe gehen, nichts zu kaufen. Viel lieber nimmt man sich die Zeit, Sachen anzuschauen, merkt sich, was einen begeistert, fragt sich, warum das so ist und welche anderen Künstler dazu passen würden.»
Man sollte mit dem Anspruch auf die Messe gehen, nichts zu kaufen.
Damit komme man zur Gegenüberstellung: «Erst wenn man zwei Werke miteinander vergleicht, kann man Unterschiede und Qualität besser bewerten.»
Sich von Schönheit nicht blenden lassen
So könne man langsam anfangen, sich auf eine spezifische Gruppe zu konzentrieren – zum Beispiel nur lebende Künstler, nur Malerei etc. Kriesel rät weiter: «Erst nach einem halben oder einem ganzen Jahr sollte man dann eine erste Entscheidung treffen. Die sollte dann aber auch kompromisslos sein.»
Somit gilt für alle Sammler und solche, die es werden wollen: Lieber abwarten und sich nicht vom süssen Schein blenden lassen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 13.6.2018, 7.20 Uhr