An seinen Vater, der die Reisen seines Sohnes missbilligte, schrieb Werner Bischof 1947 folgende Zeilen: «Etwas verstehst du nicht, mein lieber Vater, dass ich diese Reisen nicht aus Sensationsgier mache, sondern um menschlich eine vollständige Wandlung zu erleben. Papa, ich kann nicht mehr schöne Schuhe aufnehmen.»
Kurz nach dem Krieg reiste der damals 29-jährige Fotograf mit dem Velo durch Süddeutschland und war von den Bildern und Szenen, die er sah, überwältigt. Der Schock, der Blick aufs zerstörte Europa verändert Bischof und sein Schaffen nachhaltig; öffnete ihm die Augen für andere Wirklichkeiten und andere Notwendigkeiten. «Werner Bischof erfand sich als Fotograf nochmals neu», sagt Hilar Stadler, «ab diesem Zeitpunkt wird der Mensch, sein Leiden und seine Not für ihn zum zentralen Thema».
«Ein vollkommenes Werk»
Die Ausstellung «Werner Bischof – Standpunkt», kuratiert von Hilar Stadler und dem Sohn des Fotografen, Marco Bischof, schafft eine frische Sicht auf Bischofs Schaffen – auch für all diejenigen, die viele Bilder des Magnum-Fotografen bereits kennen. «Man kann Neues entdecken und Klassisches geniessen», sagt Marco Bischof.
Im Zentrum der Ausstellung im Museum im Bellpark Kriens stehen Originalaufnahmen, die unter anderem mit Kontaktbögen, Bild-Projektionen, Vitrinen mit Publikationen, Zeichnungsskizzen ergänzt werden. Die gesamte Schaffenszeit (1932-1954) von Bischof wird abgedeckt – die Fotos sind geografisch gegliedert und zeigen Momentaufnahmen aus der Schweiz, Europa, Asien und Amerika. «Neben der ästhetischen Komponente ist mir vor allem wichtig, die ethischen Werte des Werks zu zeigen», betont Marco Bischof.
Die abwechslungsreiche Zusammenstellung vermittelt eine Übersicht über Bischofs vielseitige Interessen, sein Charisma, sein Engagement, aber auch seine Widersprüche. «Bischof war wahnsinnig fleissig», erzählt Kurator Hilar Stadler, «trotz seines kurzen Lebens hinterliess er ein vollkommenes Werk.» Davon zeugt auch der Nachlass, der aus gut 60 000 Aufnahmen besteht.
«Im tiefsten Herzen Künstler»
Ein Ausstellungsraum widmet sich ganz Bischofs Studioarbeiten ab 1936 bis 1945, die er in seinem Zürcher Atelier auf Auftrag erledigte. «Dieser Aspekt seiner Arbeit ist unterbewertet, sie wird oft als Schneckenhäuschen-Fotografie abgetan», sagt Hilar Stadler.
Ohne diese Anfänge gäbe es in Bischofs späterer Arbeit aber nicht diese Präzision im Bildaufbau, die sorgfältigen Kompositionen, das perfekte Licht. «Bischof suchte nie das Dokument, sondern immer zuerst das Bild, das im Idealfall eine Gültigkeit bekommt.» «Im tiefsten Herzen bin ich immer noch – und werde es immer bleiben – Künstler», schrieb Walter Bischof in einem Brief an seine Frau.
«Die Fotografie scheint mir immer oberflächlicher»
Doch Geld verdiente Bischof in erster Linie nicht als Künstler, sondern als Fotoreporter. Er sah seine Arbeit in der Magnum-Idee repräsentiert: durch das Bild engagiert zu berichten, aufzurütteln, zum Positiven zu verändern. Mitglied der 1947 gegründeten Agentur wurde er bereits 1949, reiste für sie und für Zeitschriften wie «Life», «Du», «Paris Match» fast ohne Rast durch die Welt.
Für den Berufstand, mit der er sein Geld verdiente, hegte er jedoch wenig Respekt. «Er haderte stets mit dem Schicksal eines Fotoreporters, den er auch einmal als 'Hyäne der Schlachtfelder bezeichnete'», sagt Hilar Stadler, «ein Reporter, der rasch an den Ort des Geschehens reiste, fünf Bilder machte, und wieder abreiste, war Bischof zutiefst zuwider.»
1952, in Japan, wo er zehn Monate blieb, fasziniert von der Ästhetik, bestürzt über die Folgen des Kriegs – plagten ihn grosse Bedenken, was mit der Publikation seiner Bilder in Zeitungen und Zeitschriften erreicht werde. In einem Brief an seine Frau schrieb er: «Die Fotografie erscheint mir immer oberflächlicher, Journalismus eine Krankheit, aber ich muss weitermachen.»
Bischof machte weiter – bis zu seinem tödlichen Autounfall, nur zwei Jahre später, in den peruanischen Anden. Kurz vor seinem Tod nahm er noch eines seiner berühmtesten Bilder auf: den Flötenspieler. Auch dieses Bild ist in der Ausstellung «Werner Bischof – Standpunkt» zu sehen, aber für einmal nicht monumental gross aufgezogen, sondern es hängt kleinformatig und bescheiden neben anderen Bildern aus der Reihe Peru.
Diese Bescheidenheit passt zur Arbeitsweise von Werner Bischof. Bei allem Leid spricht aus seinen Porträtaufnahmen stets Respekt. Die Würde des Menschen war für ihn eine unantastbare Grösse. Mit seinen Bildern war er in der jeder Schaffensperiode auf der Höhe seiner Zeit, und es gelang ihm immer wieder einen neuen, ganz eigenen Standpunkt einzunehmen.