«Ich bin immer noch ein Zwischending zwischen Beatnik und Hippie, ich lebe, wie ich will», sagt die 82-jährige Leni Sinclair und lacht vergnügt. Tatsächlich war die amerikanische Fotografin schon in ihrer Jugend ein Freigeist.
Geboren wurde sie als Magdalena Arndt 1940 in Königsberg. Im Zweiten Weltkrieg flieht die kleine Leni mit ihrer Familie nach Fahldorf, ein Dorf in der Nähe von Magdeburg, das nach Kriegsende der DDR zugeteilt wird.
Es ist ihr zu eng in dieser DDR, die nur Reisen in andere kommunistische Länder erlaubt. Darum besteigt sie 1959 das Schiff «Transatlantik» in Richtung USA.
Der Beatnik-Buchtrick
Ohne viel Englisch zu sprechen, tritt Magdalena Arndt in Detroit eine Stelle als Kindermädchen an. Doch die bürgerliche Welt sagt ihr nichts. Lieber klappert sie die Buchläden in Detroit Downtown ab und kauft dort das Buch «Howl» von Alan Ginsberg. «Ich habe das Buch sichtbar herumgetragen in der Hoffnung, dass mich jemand anspricht und ich so spannende Leute kennenlerne», erinnert sie sich.
Der Trick funktioniert. So findet sie zu den Beatniks und der Gegenkultur und lernt auch ihren späteren Mann kennen, den Poeten, Jazz-Liebhaber und Aktivisten John Sinclair.
MC5 den Saft abgestellt
Mit ihrer Kamera lichtet Leni Sinclair in den 1960er-Jahren das Who's who der Musikszene ab – John Coltrane, Miles Davis, Sun Ra, Johnny Lee Hooker und der blutjunge Iggy Pop. Ihre Bilder sind derzeit in der Zürcher Photobastei zu sehen.
Als sie bei einem Konzert der lauten und rohen Protopunk-Band MC5 den Stecker zieht, weil diese viel zu laut spielen, entwickelt sich daraus eine unerwartete Freundschaft.
Auch wenn die Musik von MC5 so rein gar nichts mit der Avantgarde-Jazz-Szene zu tun hat, in der Leni verkehrt, so ist doch die Gesinnung die gleiche: dem Mainstream eine Ansage machen. Statt Cadillac und dicke Brieftasche zelebrieren sie Werte wie Freiheit und Kreativität.
Hippies und «White Panther Party»
Das Detroit der 1960er-Jahre ist eine Stadt, in der nicht nur die schwarze Musik aufblüht, sondern auch die Bürgerrechts- und Freiheitsbewegung. Es ist die Zeit der Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen und von «Flower Power».
Leni Sinclairs beeindruckende Bilder aus Musik und Politik
Zusammen mit Gleichgesinnten gründen die Sinclairs in Detroit den «Detroit Artist Workshop». Dieser wird zum Zentrum der Gegenbewegung und später auch der Hippies. Hier werden Demonstrationen geplant, Zeitungen gedruckt und Konzerte veranstaltet.
Ausserdem ruft Leni Sinclairs Gruppe die «White Panther Party» ins Leben. Damit wollen sie ein Zeichen der Solidarität für die Sache der Black Panthers setzen.
Teilnehmende Beobachterin
Leni Sinclair und ihre Kamera sind mittendrin in den ganzen gesellschaftlichen und musikalischen Umwälzungen der 1960er-Jahre. Ihre Bilder sind erfrischend unperfekt und atmen den rebellischen Aufbruchsgeist der damaligen Zeit. Gleichzeitig sind sie zeitlos, weil sie Initialzündungen von sozialen Bewegungen zeigen, die es heute noch gibt.