Eine Einfallstrasse in Richtung Zentrum von New Bern: Garagen, Tankstellen und Reklametafeln säumen den Strassenrand. Auf der grössten Plakattafel ein überraschendes Bild: drei junge schwarze Frauen, darunter in grossen Buchstaben: «Our Town, Michael von Graffenried».
Michael von Graffenried sagt: «Das ist mein Lieblingsbild des gleichnamigen Fotobuchs. Wenn man jedoch nicht genau hinschaut, wer ich bin und was ich gemacht habe, sieht man drei Schwarze und könnte denken: ‹Warum kommt jetzt ein Weisser und bildet drei Schwarze ab, um Werbung für seine Ausstellung zu machen?› Die Leute meinen, New Bern sei eine weisse Stadt, doch New Bern ist mehr.»
Gut die Hälfte der circa 30'000 Einwohnerinnen und Einwohner von New Bern ist weiss, sie wohnen mehrheitlich im fein rausgeputzten Stadtzentrum, die Schwarzen mehrheitlich in einem Quartier am Stadtrand. Dort zeigt Michael von Graffenried 23 seiner Bilder in einer Freilichtausstellung.
Zigarre, Bier und Plastikbecher
Eines zeigt zum Beispiel den Sportlehrer und Sozialarbeiter Taurance. Auf dem Bild steht er mit einer Zigarre und Bier am Grill. Drei weitere schwarze Männer sind dabei.
Das sei ein typischer Sonntag mit Freunden und American Football, sagt Taurance. Sie hätten eine gute Zeit zusammen, deshalb möge er das Bild. Es stört ihn nicht, dass man die einfachen Verhältnisse sieht, in denen er lebt.
Ein Bild mit einer schwangeren, schwarzen Frau erregte die Gemüter besonders: Auf dem Bild sieht man eine Frau mit einem roten Plastikbecher in der Hand, einem Becher wie er oft bei Trinkspielen verwendet wird. Ob die Frau tatsächlich Alkohol trinkt, bleibt offen.
Fehlende Facetten einer Stadt
Der Schwarze Lyfe bemängelt an den Bildern, dass nur ein Teil der Realität gezeigt werde und die Schwarzen schlechter wegkämen als die Weissen auf den Bildern.
«Schwarze beim Glücksspiel, schwangere Frauen, die trinken, die Suppenküche: Die Bilder von meiner Seite der Stadt zeigen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Das Problem dabei sind nicht diese Aufnahmen, sondern diejenigen Fotos, die für ein Gesamtbild fehlen.»
Interessanterweise gab es bei einer ersten Ausstellung 2006 ähnliche Reaktionen bei den Weissen. Sie störten sich daran, dass nicht alle Facetten der Stadt vorkämen auf den Fotos. Zum Beispiel die touristische, schmucke Seite von New Bern hätte gefehlt.
Michael von Graffenried besucht die Stadt in North Carolina seit fast 20 Jahren regelmässig. New Bern wurde einst von einem Urahnen seiner Familie gegründet. Auf dem Stadtwappen ist ein Berner Bär abgebildet.
Alltagsrealismus in Reinform
Der Fotograf interessiert sich jedoch für den banalen Alltag: «Alltagsbilder sind einfach realistisch und ich bin einer, der hingeht und genau hinschaut. Doch der Mensch möchte lieber träumen, als die manchmal schwierige Realität anzuschauen.»
Die Fotos von Michael von Graffenried geben zu reden in New Bern. Bei einem Talk erklärt der Fotograf sein Schaffen und steht der Bevölkerung Rede und Antwort.
Auch wenn die Bilder nicht allen gefallen, so tragen sie doch zu einem Dialog bei – zwischen Schwarzen und Weissen, die in New Bern sonst meist nebeneinander leben.