Ein höflicher, freundlicher, in sich ruhender Mensch: So wirkt Ai Weiwei, während er mit einem Lächeln in der «Albertina Modern» in Wien steht. Um ihn herum wuselt eine aufgeregte Hundertschaft von Journalistinnen, Kameraleute und Fotografen. Sie sind auf der Jagd nach originellen Bildern und knackigen Statements. Diesen Menschen – einen Superstar der Kunstszene – scheint nichts aus der Ruhe zu bringen.
Doch der Schein trügt: Jedes einzelne Exponat in der Schau zeigt, dass sich der aus China vertriebene Künstler mit den skandalösen Ungerechtigkeiten der Welt nicht abfinden kann. Als Künstler sucht er nach aufrüttelnden, kompromisslosen und manchmal provozierenden Antworten darauf.
Kunst ohne Freiheit kann man nicht ernst nehmen
«Für mich lässt sich die Sphäre der Kunst von der Sphäre des Politischen nicht trennen», erklärt Ai Weiwei. «Beides hängt zusammen. Ich muss mich für Menschenrechte und die Freiheit des Ausdrucks einsetzen, sonst kann ich mich als Künstler selbst nicht ernst nehmen.»
Insgesamt zeigen 150 Exponate, was diesen Künstler in den letzten 40 Jahren umgetrieben hat. Man findet fantasievolle, originelle, verspielte und zum Teil monumentale Arbeiten aus Marmor, Holz, Metall und Legosteinen.
«Bleib erschütterbar und widersteh»: Die geflügelten Worte des deutschen Dichters Peter Rühmkorf könnten als inhaltliches Motto über dem Lebenswerk Ai Weiweis stehen.
Kunst und Aktivismus sind im Schaffen des Unruhestifters untrennbar ineinander verwoben. So präsentiert er die Navigationsroute von Carola Racketes Flüchtlingsschiff «Sea Watch 3» als Lego-Relief. Und macht das Laufband, auf dem Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London tagtäglich trainierte, zum Ausstellungsobjekt.
Der missverstandene Radikalist
In Ai Weiweis Kunst – und das ist das Verblüffende – bleibt immer auch Platz für subversive Leichtigkeit. Bei aller Ernsthaftigkeit, die diese Arbeiten auf einer grundsätzlichen Ebene charakterisiert. «Ich bin ein ganz normaler Mensch», betont Ai Weiwei. «Ich bin nicht so aggressiv, wie mich die Medien gerne zeichnen. Was ist es denn, was ich fordere? Das Recht auf unabhängiges Denken, das Recht auf Redefreiheit und auf Mitbestimmung in öffentlichen Angelegenheiten. So radikal ist das gar nicht, oder?»
Für die chinesischen Behörden genügten seine Ansichten, um ihn ausser Landes zu jagen. Die ersten Jahre im Exil verbrachte er in Deutschland und Grossbritannien. Nun lebt Ai Weiwei in der portugiesischen Kleinstadt Montemor-o-Novo in der ländlichen Region Alentejo.
Nicht mehr nur im Osten ist er unbeliebt
«Für jemanden, der mit Sprache und Kultur arbeitet, ist es hart, im Exil zu leben», bekennt der 64-Jährige: «Du verlierst deine Sprache, für einen Künstler ist das im Grunde das Schlimmste, was ihm passieren kann.»
Dennoch wirkt Ai Weiwei entschlossen, seine Arbeit als Kunstaktivist fortzusetzen. Dabei weiss er: Es gibt inzwischen auch im Westen Leute, die ihn nicht mehr so schätzen wie früher. Die ihn für einen effekthascherischen Populisten halten, dem öffentliches Aufsehen wichtiger sei als konzentrierte künstlerische Arbeit.
Doch wenn man sich auf die überraschend vielschichtigen Exponate einlässt, die Ai Weiwei seit den frühen 80er-Jahren geschaffen hat, spürt man: Da hat einer ernsthaft um künstlerische Antworten auf die Zumutungen dieser Welt gerungen. Da ist einer, trotz allen Rummels, der um ihn brodelt und gärt, widerständig geblieben. Und immer auch: erschütterbar.