«Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen», sagte ihre Freundin Meret Oppenheim über das Selbstverständnis der Künstlerin. Frei und konsequent ging Lilly Keller seit den 1950er-Jahren ihren eigenen, freien Weg – in ihrer Kunst wie im Leben.
Am 2. Januar ist die Berner Künstlerin in Thusis, dem Heimatdorf ihrer Mutter, verstorben – nach über 60 Jahren ungebrochener Kraft am Werk. Lilly Keller schuf Bücher, Collagen, Objekte und Installationen.
Befreit und offen für Neues
Wer bei ihrem Namen an Textilkunst denkt, kennt nur ihr frühes Werk. Das Weberschiff hatte sie 1984 nach Vollendung der «Tapisserie Nr. 70» für immer niedergelegt. Lilly Keller wollte sich damals mit dieser Geste vom Stigma der «Frauenkunst» befreien.
Denn Textilkunst, die in den 1970er-Jahren vor allem von Frauen ausgeübt wurde, war zwar viele Jahre kommerziell sehr erfolgreich. Von den Herren, die über Kunstkritik und Kunsttheorie wachten, wurde sie aber immer ein wenig schief angesehen.
Schnell handeln, schnell denken
Experimentierfreudig wandte sich Lilly Keller später weniger weiblich konnotierten Materialien zu. Vor allem der Kunststoff Polyurethan hatte es ihr angetan. Ein Material, das rasch aushärtet und schnelles Handeln, schnelles Denken erfordert – ein idealer Werkstoff für eine energische Persönlichkeit wie Lilly Keller.
Sie sprudelte voller Ideen, voller Schaffensdrang und schaute neugierig um sich, ob sich nicht aus diesem oder jenem Material noch etwas Unerwartetes, Überraschendes machen liesse.
Sie erschuf Polyurethan-Matten, die wie Flechtwerk aussehen und so das technische Material in textiler Verarbeitung zeigen. Sie gestaltete labyrinthische Reliefbilder aus dem gleichen Kunststoff und garnierte sie mit kleinen LED- Leuchten.
Sie erzeugte geschmeidige Bänder aus Holz, auf denen ebenfalls Lichtlein blinken. Und sie liess sich von der Formensprache in ihrem berühmten Garten anregen, formte Pflanzenteile in Polyurethan nach wie das «Grosse Blatt», das 1999 in verschiedenen Farben entstand.
Dunkles Raunen des Unterbewussten
Beiträge zum Thema
Die Natur war eines der grossen Themen von Lilly Keller. In ihren frühen Assemblagen zeigte sich ihre Freundschaft und Geistesverwandtschaft mit Meret Oppenheim und Daniel Spoerri.
Vogelfedern, Knochen, Eier verbinden sich zu rätselhaft-reizvollen Objektbildern, die das dunkle Raunen des Unterbewussten ins Visuelle übertragen.
Ein nicht enden wollender Quell an Ideen
Auch in ihren Collagen-Büchern, die Keller seit 1975 gestaltete, tauchen oft Blattmotive auf. Sie sind Ideensammlungen, Skizzenbücher, Materialtests, Gedankenkompendien und eigenständige Kunstwerke in einem.
Über 70 Bücher – Basis und Kern Kellers Schaffens – entstanden. Jedes ist ein Füllhorn von Ideen und Gedanken. Sie zeigen Kellers rasende Lust, sich immer wieder an neuen Materialien und Techniken auszuprobieren. Und sie zeugen ihrer grossen Leidenschaft für die Natur und ihrem Interesse an gesellschaftlichen Fragen.
Nur der Mantelzipfel ist sichtbar
Gerade die soziale und politische Stellung der Frau hatte Lilly Keller stets intensiv beschäftigt. Besonders kritisch hatte sie sich in ihrem eigenen Umfeld, der Kunst- und Kulturszene, umgesehen.
In einem ihrer aufwendigen Collagen-Bücher, dem sie den Titel «Der Leidensweg der Frau in der Kunst» gegeben hatte, sammelte sie Belege für die Ungleichbehandlung der Geschlechter.
Dokumentierte Diskriminierung
Da findet sich etwa die Besprechung einer Gemeinschaftsausstellung von Lilly Keller und Friedrich Kuhn im Jahr 1953, in der Kuhn weit ausführlicher gewürdigt wird als Lilly Keller. Auf dem Foto hat man die junge Künstlerin sogar abgeschnitten. Nur ihr Mantelzipfel ist am Bildrand erkennbar.
Unverkennbar bleibt nun aber ihr Werk. Und der Kampf einer kompromisslosen Künstlerin. Er war für Lilly Keller vielleicht selbstverständlich, für viele andere aber bleibt er dauerhaft bewundernswert.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kulturnachrichten, 04.01.2018, 17.30 Uhr