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Kulturelle Teilhabe Wenn der Ruderclub eine Kunstausstellung gestaltet

Das Kunstmuseum Thun lädt Bevölkerungsgruppen ein, Ausstellungen zu machen – mit aussergewöhnlicher Wirkung.

«Kulturelle Teilhabe» ist in aller Munde. Gemeint ist damit: Weg vom elitären Kulturdünkel, hin zu einer Öffnung für alle Menschen, unabhängig von deren Hintergrund.

Am Kunstmuseum Thun verfolgt man diesen Ansatz seit vielen Jahren. Bereits 2008 lud man Ruderer ein, eine Ausstellung zu gestalten.

Das Museum liegt direkt an der Aare. Im Erdgeschoss und durch die Fenster geht der Blick aufs fliessende Wasser. Genau dort fuhren jeweils in den Abendstunden Ruderer vorbei.

Sara Smidt, die Leiterin der Abteilung Vermittlung, erzählt: «Die Ruderer haben eine Ausstellung gemacht, wo sie auf die Themen ‹Oberfläche, Reflexion, Rhythmus› eingegangen sind.»

Quadrat mit kreuzförmigem Lichtstreif in der Mitte.
Legende: Die Reflexion auf dem Wasser könnte man darin entdecken – Peter Somm: «ohne Titel», 1981/84, Acryl auf Baumwolle, ZVG / Kunstmuseum Thun

Diese Zusammenarbeit habe so gut funktioniert, dass das Kunstmuseum immer wieder externe Gruppen eingeladen hat, um gemeinsam Ausstellungen zu gestalten so zum Beispiel Migranten, Kinderpsychologinnen, Psychiatriepatienten gemeinsam mit Führungskräften, Senioren mit Kindern, Menschen mit und ohne Beeinträchtigung.

Konsequente Beteiligung externer Gruppen – so kann «kulturelle Teilhabe» aussehen. Das vertiefe auf beiden Seiten die Auseinandersetzung mit der Kunst, sagt Sara Smidt.

Bild mit Quadraten in einer Reihe, ein Quadrat tanzt aus der Reihe
Legende: Einer tanzt aus der Reihe – Camille Graeser: «ohne Titel», 1976. ZVG / Kunstmuseum Thun

Die Ruderer hätten zum Beispiel ein Bild des Schweizer Konkreten Camille Graeser ausgewählt. Vier kleine Quadrate nebeneinander angeordnet, wovon eines buchstäblich aus der Reihe fällt. Die Ruderer fanden, es sei ein Bild, als ob auf dem Boot jemand aus dem Rhythmus gerät.

Zwei Welten treffen aufeinander

Für Smidt ist das «sehr interessant, weil die Konkreten sagten: ‹Wir stellen keine Wirklichkeit dar›. Jetzt kommen die Ruderer und sagen, das sei aber genau wie ihr Ruderboot». Das sei wie die Wirklichkeit.

Zwei Welten treffen hier also aufeinander: Ernsthafte Kunsthistoriker würden dazu sagen, das dürfe man nicht, sagt Smidt. Die Ruderer sehen das ganz anders.

Das heisst dann in der Konsequenz: Wer in den Ausstellungsprozess Menschen aus ganz anderen Bereichen einbezieht, gibt etwas von seiner Deutungshoheit ab.

Verlust von Deutungshoheit

Was an kunsthistorischen Seminaren gelehrt wird, was Kuratorinnen wissen, muss erst mal zurückgestellt werden: «Deutungshoheit wird aus der Hand gegeben und sie kann sich auch weg entwickeln von den angestammten Ansichten eines Museums», sagt Smidt.

Gruppe von Ruderern im Museum
Legende: Wenn man Externe beteiligt, verliert man auch die Deutungshoheit. ZVG / Kunstmuseum Thun

Aber genau darum gehe es ja auch: «Wenn jemand davor Angst hat, dann sage ich, die klassische Sicht bleibe ja auch. Es geht nicht darum, Revolutionen anzufachen, sondern es geht genau um die Vielfalt, die ja auch die Gesellschaft ausmacht.»

«Kultur inklusiv»

Seit 2016 trägt das Museum das Label «Kultur inklusiv»: Das Museum setzt sich auch in anderen Bereichen für Inklusion ein – etwa mit Texten in «leichter Sprache» für Menschen mit Leseschwierigkeiten.

Zudem hat das Museum einen eigenen Vermittlungsraum: Die «Kunstküche», wo lustvolle Kunst- und Küchenexperimente stattfinden. Kulturelle Teilhabe wird am Kunstmuseum Thun vielfältig gefördert.

Das Ergebnis lässt sich aber schwer in Zahlen fassen: «Wenn wir mit Zahlen punkten müssen, würden wir völlig abfallen. Es geht um Qualität. Ich nehme gerne das Schneeball-Bild: Der Schneeball rollt und wird grösser und wirksamer. Und kommt an vielem vorbei, das vielleicht ein bisschen zufällig ist.» Ernsthafte kulturelle Teilhabe, das wird am Kunstmuseum Thun klar, erzielt man nicht nebenbei: Dafür muss viel investiert werden.

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