Betritt man den ersten Raum, steht man vor einer grossen Installation: Unzählige Pokale, Trophäen und Paare von Boxerhandschuhen hängen hier an dünnen Ketten oder Seilen. Warum hier Sieg und Ehrgeiz thematisiert werden, ist Arbeitspsychologe Theo Wehner sofort klar. «Wir wollen alle ständig die Nummer eins sein im Job», sagt er.
Das war nicht immer so. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten 30 Jahren verändert, ist effizienter und produktiver geworden. Nicht die Leistung oder die Anstrengung zählt, sondern der Erfolg. «Wir sind zu einer Erfolgsgesellschaft geworden», so der Psychologe. Er setzt Erfolg gleich mit «Trophäen», die man nach Hause bringen muss.
Ich bin, was ich arbeite
Auch wenn sich die Ausstellung, die an vier Orten der Manifesta stattfindet, «historisch» nennt, hier gibt es keine klassische Geschichte zu erzählen. Man muss die Kunst auf sich wirken lassen und sich selber eine Geschichte ausdenken – wie zu den eindrücklichen Porträts des deutschen Fotografen August Sander. Seine Fotografien aus den 1920er-Jahren zeigen Handwerker, Nonnen, einfache Berufe. Fotografien, die im Studio aufgenommen wurden und in denen man den Stolz der Protagonisten sieht, die sich in Assoziation zu ihren Berufen präsentieren.
Gehe es um jenen Stolz, sei das heute häufig anders, meint Theo Wehner. Die Musse, sich in seinem Beruf gut zu fühlen, fehlt. In vielen Berufen werden Überstunden und Stress als heroische Herausforderungen betrachtet. Wer nicht gestresst ist, wird kritisch beäugt – oder es wird einem gar Faulenzertum unterstellt. Darauf folgt oftmals Erschöpfung, bis hin zum Burnout. Gerade Top-Kaderleute definieren sich ausschliesslich über ihren Job.
Geht uns die Arbeit aus?
«Arbeit war schon immer krank machend und gleichwohl macht Arbeitslosigkeit krank», so Wehner. Die Angst davor, ohne Job zu sein, sitzt tief. Nicht ohne Grund, denn bereits das Einführen von Computern führte Mitte der 1970er-Jahre dazu, dass viele Arbeitsplätze ersetzt wurden.
Nun, zu Beginn der digitalen Revolution, nimmt diese Angst rasant zu. Ein Bild auf das Theo Wehner seit Jahren verweist, hängt in der Ausstellung: Eine Siemens-Fabrikhalle, fotografiert vom Fotokünstler Andreas Gursky. Auf den ersten Blick sieht man keine Menschen, nur Maschinen, die die Arbeit erledigen. Erst bei genauem Betrachten entdeckt man zwischen all den Geräten ein paar Menschen.
Werden in naher Zukunft Roboter unsere Arbeit besser, präziser und schneller erledigen? Wie geht es weiter, wenn die Digitalisierung weiter fortschreitet? Werden wir alle ohne Arbeit sein? Nein, die Arbeit würde uns nicht ausgehen, meint Arbeitspsychologe Theo Wehner. «Es kann aber sein, dass uns die bezahlte Arbeit ausgeht.» Die unbezahlte Arbeit, Pflege und Hausarbeit wird zunehmen. Es brauche ein Umdenken.
Es gibt genug zu tun
Erst einmal müssen wir die Musse wieder neu entdecken. Dann gäbe es ja noch all die Arbeit, die von niemandem gemacht werde. Zum Beispiel die Weltmeere von Plastikmüll zu befreien.
Dass man über das bedingungslose Grundeinkommen, dass unlängst von den Schweizer Stimmbürgern abgelehnt wurde, neu nachdenken müsse, ist für Wehner keine Frage. Doch das sei ein sensibles Thema. «Die Zukunft fällt nicht vom Himmel», so Wehner, «wir stellen sie selber her». Und schliesslich gäbe es auch eine neue Form der Freiheit, wenn uns die Roboter von der Arbeit befreien. In der Ausstellung spürt man von all dem wenig. Doch sie ist ein Anstoss, darüber nachzudenken.