Die Untersuchungen laufen – und noch Monate nach dem Öffentlichwerden kreist die Diskussion um die Frage: Wie konnte ein Weltkonzern wie Volkswagen systematisch eine manipulierte Software in seine Autos einbauen?
«Das, was bei VW geschehen ist, muss man sich ja nicht so vorstellen, dass sich da drei, vier Informatiker in der Tiefgarage getroffen und ein bisschen an der Software herumgefummelt haben», sagt der emeritierte ETH-Professor für Arbeitspsychologie im Interview mit «ECO» zum Thema Arbeitszufriedenheit. «Das müssen Hunderte gewesen sein, und es müssen mehrere Hundert davon gewusst haben. Dass da keine Regulationskräfte mehr vorhanden sind, würde ich bei Sekten vermuten. Das hätte ich bei VW nie vermutet. Von daher schockiert es mich zutiefst.»
Mit dem «Blauen Montag» fängt es an
Für Arbeitspsychologe Theo Wehner zeigt sich hier ein Grundproblem unserer Gesellschaft: «Ich würde von fehlendem Unrechtsbewusstsein bei VW sprechen. Aber auch bei anderen Firmen: Das haben wir in den Banken gehabt und auch in der Pharma-Branche.»
Der «Blaue Montag» sei heutzutage schon fast normal, beobachtet er. Man geht nicht zur Arbeit, weil man keine Lust oder etwas Besseres zu tun hat. «Das ist eigentlich schon ein gewisses fehlendes Bewusstsein für den Vertrag, den ich mit dem Arbeitnehmer habe», sagt Theo Wehner. Mit diesem Verhalten beginne man Toleranzen für grösseres Unrecht zu entwickeln.
«Die Norddeutschen sagen immer: ‹Der Fisch stinkt vom Kopf her›. Ich würde heute sagen: ‹Es riecht auch unangenehm von den Füssen›.»
«Unternehmen brauchen Psychologen, Philosophen, Soziologen»
Wir könnten nicht immer nur nach oben zeigen und die Schuld bei Führungskräften suchen, findet Theo Wehner. Dies entlaste uns selbst zu stark. «Wenn wir nun alle auf die Steuerhinterziehungspraktiken schauen, dann muss ich noch mal meine Steuererklärung hervornehmen und mich fragen: Wie habe ich sie eigentlich ausgefüllt?»
Für ihn ist klar: «Deshalb brauchen wir auch in Betrieben Whistleblower. Wir brauchen Leute, die mich auf etwas hinweisen.» Es sei nicht mehr nur notwendig, einen Betriebsarzt zu haben. «Wir brauchen Psychologen, unter Umständen Philosophen – oder einen Soziologen, der im Betrieb wäre und die Kommunikation und so etwas wie Gerechtigkeitsempfinden stärker in den Blick nimmt.»