Musik und Tierstimmen umzirpen und umsäuseln die Besucher beim Betreten des Bührle-Saales im Kunsthaus Zürich. Im dunklen Raum schweben Bilder, scheinbar losgelöst von Raum und Zeit. Es sind Videoaufnahmen von Landschaften und Tieren, Speisen und Mündern, die auf leichte Banner projiziert werden, die von der Decke herab hängen und die eine Art filigranes, flirrendes Labyrinth der Bilder ergeben. Man kann durch sie hindurch spazieren: schauend, bewundernd, staunend.
Die Übersichtsausstellung, die Pipilotti Rist zusammen mit der Kuratorin Mirjam Varadinis eingerichtet hat, verwandelt den sonst so nüchternen Bührle-Saal in eine grosse Zauberwelt. Über 40 Werke von 1986 bis heute verschmelzen in der Ausstellung zu einer stimmungsvollen und überwältigenden Gesamtinszenierung.
Im Bauch der Kunst
Die Besucher werden buchstäblich von der Kunst verschlungen, wie es eine auf den Boden projizierte Videoarbeit verbildlicht. Sie zeigt Pipilotti Rist, die mit geöffnetem Mund immer näher an die Kamera – und die auf der Projektion stehenden Besucher – herankommt, sie gleichsam verschlingt. Dann wendet sich das Bild und der Anus erscheint in der Projektion. Die Betrachter, eben verschluckt, werden wieder ausgeschieden.
Diese Videoarbeit von 1996, nach dem Abführmittel «Mutaflor» benannt, ist typisch für das Schaffen der international erfolgreichen Künstlerin. Sie zeigt, wie Pipilotti Rist sich intensiv mit Körperlichkeit, Weiblichkeit und tabuisierten Körperzonen und Körperfunktionen beschäftigt.
Elektronische Geister
Pipilotti Rist interessiert sich grundsätzlich dafür, wie wir wahrnehmen. Und sie macht in ihrer Arbeit immer wieder Angebote, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen, neu auszurichten, neue Perspektiven einzunehmen. Bei ihr ist das ganz wörtlich zu verstehen. In einem Teil der Ausstellung hat sie eine Art Wohnung eingerichtet, mit Sesseln, Tischchen, Bett und Schminkkommode. Die Besucher dürfen sich überall hinsetzen oder auch hinlegen und sind von Videos umgeben: Auf Kissen, Sitzflächen, Glasflaschen, in Schachteln und Handtaschen flimmern Projektionen. «Elektronische Bilder, die wie Geister erscheinen», nennt die Künstlerin diese Art der Inszenierung.
Theoretische Wahrnehmungsfragen auf lustvolle Art umzusetzen, das gelingt Pipilotti Rist einmalig gut. Auch in der jüngsten Arbeit der Ausstellung, dem «Pixelwald» aus 3000 LED-Leuchten, die an langen Kabeln von der Decke hängen. Die Leuchten werden durch Videosignale angesteuert und ändern immer wieder ihr Licht. Könnte man die Installation aus einigen hundert Metern Entfernung betrachten, würden die Lichter wie die Farbpunkte auf einem pointilistischen Gemälde zu einem Motiv verschmelzen.
Doch so weit kann man nicht zurücktreten. Man kann nur wie in einem Märchen gefangen zwischen den Lichtlianen umhergehen, blinzeln, staunen und sich vorstellen, was für ein Farbteilchen man selbst wäre, wenn doch mal jemand den «Pixelwald» als Gesamtbild sehen würde.