Überwachung, gläserner Bürger, fehlender Datenschutz – wer sich ausgiebig mit diesen Themen beschäftigt, fühlt sich voraussichtlich machtlos, bekommt vielleicht sogar Paranoia. Der britische Künstler Heath Bunting nutzt die Möglichkeiten der Datensammelei, um Menschen die Augen zu öffnen und sie zu sensibilisieren.
In den vergangenen zehn Jahren hat Heath Bunting eine riesige Datenbank aufgebaut, aus der er fiktive Identitäten erschaffen kann: Dafür stellte er zum Beispiel einen Briefkasten in einem Hinterhof auf, auf den er einen erdachten Namen klebte. Mit diesem Namen und der Adresse konnte er sich dann Kundenkarten grosser Warenhäuser ausstellen und schicken lassen. Durch die Kundenkarten war es dann wiederum möglich eine Bibliothekskarte zu beantragen. Schritt für Schritt entstand so eine neue Identität, die eine eigene Kreditkarte hatte. Eine, die in digitalen Netzwerken und in administrativen Systemen des Staates existierte.
Kunst bedeutet: gute Fragen stellen
Heath Bunting versucht in seinem «Status Project», diese Systeme zu nutzen, wie Hacker: Sie greifen in ein System ein und machen damit bisher unsichtbare Prozesse sichtbar. Oder erzwingen eine Blickumkehr.
Das kürzlich in der Reihe Edition digital Culture erschienene Buch «Hacking» beschäftigt sich mit der Rolle des Hackings in den Künsten. Heath Bunting antwortet auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Kunst und Aktivismus kurz und knapp: «Kunst bedeutet, gute Fragen zu stellen – Aktivismus heisst, gute Antworten zu finden.»
In vier Stunden zu einer neuen Identität?
Solche Antworten liefert Heath Bunting gleich selber. Um sich in westlichen Ländern als natürliche Person identifizieren zu können, muss man im mindestens Name, Geburtsdatum und Nationalität angeben können.
Der Künstler erklärt, wie sich möglichst einfach ein Geburtsdatum ändern lässt, wie man sich Postadresse und Kreditkarte zulegen oder sich um eine neue Nationalität bemühen kann – die Scheinheirat sei in dem Zusammenhang nicht empfohlen.
Während des Workshops in St. Gallen soll nun eine neue Schweizer Identität erschaffen werden. Hektik verbreitet sich im Raum, gemischt mit Ratlosigkeit: Welche Schritte müssen zuerst ausgeführt werden um welche Ziele zu erreichen? Man teilt sich in Gruppen auf, findet einen leeren Briefkasten und eröffnet einen Mail-Account.
Daten statt Gesichter
Immerhin: Am Ende des Workshops gibt es Andrea Leutenegger, wohnhaft an der Vadianstrasse 31, 9001 St. Gallen. Geboren am 13. Februar 1978, ausgerüstet mit Mail-Adresse, und stolze Besitzerin einer Prepaid-Sim-Karte und einer Cumulus-Karte von Migros.
Für Bunting ist der Workshop Teil seiner Forschung. Er möchte sein Wissen erweitern und die in seiner Heimat gewonnenen Daten in einen grösseren Kontext setzen – mittlerweile arbeitet er damit in der gesamten EU.
In den rund zwölf Jahren, die Bunting mit Datensammeln verbracht hat, veränderte sich auch sein Zugang zum Projekt. Heute spielt für ihn die Rolle der Sprache eine immer wichtigere Rolle: «Abhängig davon, auf welcher Ebene unterschiedlicher Identitäten man sich befindet – ob als natürliche oder als juristische Person –, gibt es unterschiedliche sprachliche Schlüsselkonzepte.»
Die !Mediengruppe Bitnik, bestehend aus Domagoj Smoljo und Carmen Weisskopf, hat die Ausstellung in St. Gallen mitkuratiert und Heath Bunting zum Workshop eingeladen. «In Status Project zeigt sich ein spannender Blick auf unser System. Konzepte wie Anonymität, Sichtbarkeit, Verschwinden oder Identität, die wir in der Ausstellung thematisieren, spielen in Heath Buntings Arbeit eine wichtige Rolle», sagen die beiden Künstler.
Unsere Identität gehört uns
Das Spiel mit Masken und Rollen ist in den Künsten ein altes. Doch bei Heath Bunting wird anstelle von menschlichen Gesichtern mit Daten experimentiert. Die !Mediengruppe Bitnik sagt dazu: «Die Perspektive dieser Datenbank-Logik ist interessant: Wichtig ist nicht, wie wir aussehen, sondern welche Informationen in den Datenbanken der Computer von uns lesbar und verfügbar sind.»
Gewisse Dinge erwiesen sich während des Workshops als besonders vertrackt, andere als erstaunlich einfach. Die Übung führte deutlich die Absurdität des Systems vor Augen, das von uns meist als «normal» empfunden wird. Dabei wurde das Bewusstsein dafür gestärkt, wie die Bestandteile unserer Identität ineinander spielen.
Trotz diesen Erkenntnissen hatte die fiktive Andrea Leutenegger aber eine ermutigende Wirkung auf die Runde. Schliesslich rief der Nachmittag wieder in Erinnerung, dass unsere Identität uns gehört und nicht dem Staat. Deshalb müssen auch wir über sie bestimmen können.