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«Kunstfälschung» als Konzept Wie zwei Zürcher mit Miniatur-Meisterwerken Massstäbe setzen

Das Fotografenduo Cortis & Sonderegger spielt in ihren Arbeiten mit Illusion und Authentizität. Am Anfang stand eine Schnapsidee.

Jojakim Cortis und Adrian Sondereggers Atelier in Adliswil ist ein Kosmos für sich: Modelle, Holzplatten, Styroporreste, 3D-Drucker, Kameras, Stative und jede Menge Bücher. Das Duo baut ausgesuchte Fotos in einem ca. 1 Meter hohen und 1.5 Meter breiten Modell nach und fotografiert sie neu – inklusive Werkzeug rundherum. Fotos von Fotos: mit diesem Konzept wurden die beiden Zürcher weltbekannt.

Fotostudio mit Kameras, Lichtern und Hintergrundkulissen.
Legende: Kreatives Chaos: Das Atelier von Cortis & Sonderegger befindet sich seit 2016 in der ehemaligen Seidenweberei in Adliswil. Barbara Seiler

Kennengelernt haben sich Adrian Sonderegger und Jojakim Cortis 2001 in der Fotoklasse von Istvan Balogh an der ZHdK. Jojakim kommt aus Aachen, Adrian aus Bülach. Schon im Studium arbeiten sie zusammen. Für die praktische Prüfung fotografieren sie Orte, an denen Simulationen stattfinden: zum Beispiel eine Halle, in der die Feuerwehr ihre Brandlöschübungen durchführt. Die Themenwahl ist rückblickend wegweisend. Doch der Weg ist nicht sofort ein künstlerischer. Nach der Schule arbeitete das Duo fünf Jahre lang für Zeitschriften und Werbung.

Sie machen sich einen Namen, als die zwei verrückten Fotografen, die immer einen Riesenaufwand betreiben. Schon damals basteln und bauen sie gerne und entwerfen ganze Szenen rund um ihr Sujet. Von Anfang an diskutierten sie die Frage: Wem gehört das Foto? Wer drückt ab? «Wir haben uns dann entschlossen, wir nehmen zwei Kameras und entscheiden später, welches das Beste ist.»

Am Anfang stand eine Flaute im Fotostudio

Der künstlerische Durchbruch kommt 2012. «Wir hatten fünf bis sechs Jahre kein eigenes Projekt gemacht. Irgendwann ist es dann schwierig, sich Zeit zu nehmen für etwas Eigenes.» Der richtige Zeitpunkt kommt mit einer Flaute im Fotostudio. «Das war so eine Schnapsidee: ‹Komm, wir kopieren die teuersten Fotos der Welt aus der Sicht eines Kunstfälschers›», erzählen Cortis & Sonderegger.

Die teuerste Fotografie zu der Zeit war «Rhein II» von Andreas Gursky. Das Bild ist mit Küchenfolie, Grasmatten und Watte einfach nachzubauen. «Wir haben dann aber schnell gemerkt, dass das Konzept nicht aufgeht». Schon das drittteuerste Bild bringt die Bastel-Künstler an den Anschlag: ein verzerrtes Selbstporträt von Cindy Sherman.

Sie entscheiden sich, ihr Vorgehen zu ändern und wählen zukünftig ikonische Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben, als Vorlage: die sinkende Titanic, der Schnappschuss von Nessie oder das Hindenburg-Desaster. Schnell können sie international ausstellen und erhalten Preise. Auch finanziell geht es aufwärts: Der Artist Print vom «Making-of ‹The Hindenburg Disaster› von Sam Shere, 1937» wird in einer New Yorker Galerie für 35'000 Dollar verkauft.

In den vergangenen Jahren wurden die Sujets immer komplizierter und der Nachbau raffinierter. Höhepunkt ist das «Napalm Girl». An diesem Bild arbeitet das Duo ein ganzes Jahr lang. «Da war für mich der Zenit überschritten und es stellte sich eine Erschöpfung ein. Unsere Fotos wurden qualitativ immer besser, aber es fehlte ihnen die Leichtigkeit vom Anfang», erzählt Adrian Sonderegger.

Ihr Erfolgskonzept, ikonische Fotos nachzustellen, haben die Beiden nach dieser Erkenntnis vorerst pausiert. Momentan arbeitet das Künstlerduo an einem neuen Projekt, in dem ihr Atelier in Adliswil die Hauptrolle spielt. Im Modell nachgebaut bietet es Cortis & Sonderegger einen Raum für neue fotografische Experimente. Wer abdrückt, spielt heute schon lange keine Rolle mehr.

SRF 1, Sternstunde Kunst, 2.2.2025, 12:00 Uhr

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