- «Offcut» heisst so viel wie Verschnitt oder Restposten.
- Der gleichnamige Materialmarkt sammelt Dinge und Materialien, die sonst in der Mulde landen.
- Diese Materialien stellt Offcut Künstlern günstig zur Verfügung.
In einer ehemaligen Industriehalle in Basel stapeln sich Stoffrollen, Styropor- und Holzzuschnitte. Da finden sich Kisten voller Seile, Kästen aus Plexiglas, Glassplitter, Glitzerketten, Puppen, Plastikblumen und eine kleine Mundharmonika. Eine 350 Quadratmeter grosse Fundgrube für Künstlerinnen und Kreative.
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Bild 1 von 7. Bei Offcut finden sich Nähutensilien und Stoffblumen... Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 2 von 7. ...Spielzeug-Puppen und Firlefanz... Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 3 von 7. ...bunte Glasscherben... Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 4 von 7. ...Apothekerflaschen... Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 5 von 7. ...Holzreste... Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 6 von 7. ...eine kleine Gitarre und Kunsthaar. Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 7 von 7. Was wohl aus all diesen Dingen entsteht? Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
Brücke zwischen Industrie und Kunst
Diesen Materialfundus zu finden, ist nicht ganz einfach. Ziemlich «off the road» liegt Offcut auf dem Basler Dreispitz-Areal.
Vom Eingang aus blickt man auf stillgelegte Bahngleise. Sie werden von Fabrikgebäuden gesäumt. Weiter unten verlaufen die Schienen entlang des Campus der Künste, der belebt ist von Start-Ups, Kunststudenten und Museumsbesucherinnen.
Verortet zwischen industrieller Produktion und kreativer Szene: Das sei die ideale Umgebung für ihr Projekt, sagt Simone Schelker. Sie ist Initiantin und Co-Geschäftsleiterin von Offcut.
Viel kreativer Spielraum, Zero Waste
«Dieser Ort ist eigentlich ein Riesenraum voller Abfall. Besser gesagt: Voller Dinge, die jemand als Abfall definiert hat», sagt Simone Schelker. «Das ist doch Wahnsinn: Denn man kann all diesen ‹Abfall› noch verwenden.»
Die Philosophie von Offcut sei es, die gegebenen Ressourcen zu nutzen: «Also keine neuen Materialien zu produzieren am anderen Ende der Welt. Sondern aus den Unmengen zu schöpfen, die es bereits gibt.»
Das passt zum Zero-Waste-Trend: dem Bestreben, Abfall zu vermeiden und nachhaltig mit Ressourcen umzugehen.
Material vor der Mulde retten
Oft würden einwandfreie Materialien und brauchbare Utensilien auf der Müllhalde landen, erklärt Simone Schelker. Wenn etwa eine Künstlerin ihr Atelier räumen muss, ein Theater sein Bühnenbild nicht mehr verwenden kann oder ein Schuhmacher seinen Betrieb aufgibt.
Bei vielen Firmen fallen bei der Produktion sogar täglich Abfallstücke an: Styropor, Holz oder Glas. «Dort ist es für uns am schwierigsten, die Kreisläufe aufzubrechen und die Firmen zu überzeugen, dass man ihre Überschüsse noch für kreative Zwecke verwenden kann.»
Eine Idee aus Down Under
Gegründet haben Simone Schelker und ihre Mitstreiterinnen Offcut vor fünf Jahren. Während ihres Lehramt-Studiums in bildender Kunst verbrachte Schelker ein Semester in Sydney.
Dort entdeckte sie einen Laden namens «Reverse Garbage». Eine Art Brockenhaus, das sich aber spezifisch an kreativ tätige Menschen richtete. «Das war mein Traumort – dieser riesige Fundus. Also nahm ich die Idee mit in die Schweiz.»
Mode aus Wischmopps
Simone Schelker erinnert sich, wie sie in der Anfangszeit haufenweise Putzlappen und Wischmopps erhalten haben. «Wir dachten: Gut, die sind hier definitiv fehl am Platz. Wir nahmen sie trotzdem entgegen, schliesslich brauchten wir Material.»
Eine Modestudentin fertigte später aus den flauschigen und farbigen Knäueln eine Schal-Kollektion.
Bastler und Zweckentfremder
Heute hat sich Offcut in der Kreativszene einen Namen gemacht. Bildende Künstler kaufen hier Farben und Materialien für Skulpturen. Fotografen finden Requisiten für Shootings, Architekten und Designer Rohstoffe, um Modelle zu bauen.
Kunststudenten durchstöbern die Regalen auf der Suche nach Ideen. Hobby-Handwerker mit einer Idee suchen nach den passenden Bauteilen.
Stöbern im Materialfundus
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Bild 1 von 4. Beni Fuhrer baut gerade seine Küche um, wofür er eigentlich eine Chromstahlplatte sucht. Die orangene Kunststoffplatte, die er stattdessen findet, erfüllt auch seinen Zweck. Er kommt regelmässig ins Offcut. Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 2 von 4. Chantal Jufer hat in der Zeitung von Offcut erfahren. Die frühere Hobbymalerin möchte ihren alten Malbedarf spenden. An Offcut gefällt ihr, dass auch weniger wohlhabende Menschen an Materialien und Zubehör gelangen, um sich kreativ zu beschäftigen. Heute strickt Chantal Jufer Pullis und Socken für bedürftige Menschen. Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 3 von 4. Yannick Hutter baut eine Garderobe für sein Zimmer. Isabella Samayoa hatte die Idee, dafür im Offcut zu schauen. Sie hat den Tipp von einem befreundeten Design-Studenten. Es hat sich herumgesprochen, dass es hier auch für kleine Geldbeutel ausgefallenes Handwerksmaterial gibt. Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
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Bild 4 von 4. Larissa Scheding ist Lehrerin für textiles Werken und sucht heute nach Schnüren und Seilen für ihren Unterricht - und wird fündig. Schon während ihres Studiums an der Kunsthochschule hat sie regelmässig vom Angebot im Materialfundus profitieren können. Bildquelle: SRF/Lydia Huckebrink.
Der Zufall als Glücksfall
«Zu uns kommen alle möglichen Leute, die kreativ arbeiten», sagt Simone Schelker: «Bastler, im weitesten Sinne. Menschen, die Zweckentfremden lieben – und hinter allem noch eine Verwendung sehen.»
Manches bei Offcut hat viele Jahre im Keller geschlummert, anderes hat seinen ursprünglichen Zweck verloren. Hier gilt es rumzustöbern. Ein Glücksfall, wenn man exakt das findet, was man sucht.
Dafür nimmt man vielleicht eine neue Idee mit. Denn auf den vollen Regalen wartet das kreative Chaos nur darauf, auszubrechen. Kunst, stellt man sich vor, wird daraus fast von selbst.