Sie leeren unsere Mülltonnen, fegen die Strassen, sammeln Dreck auf. Trotzdem nehmen viele Menschen die orangegekleideten Leute von der Stadtreinigung kaum wahr. Dabei würde unsere Gesellschaft ohne diese Menschen nicht funktionieren.
So ist es oft mit Care-Arbeit: Saubermachen, Kranke pflegen, sich um die Kinder kümmern – all das ist von zentraler Bedeutung. Das hat nicht zuletzt die Pandemie gezeigt. Trotzdem ist Sorge-Arbeit oft schlecht bezahlt. Oder, wie im Fall von Hausarbeit, gar nicht.
Immer wieder wird deshalb diskutiert: Bringt unsere Gesellschaft denjenigen, die Care-Arbeit erledigen, genug Wertschätzung entgegen?
Die US-amerikanische Performancekünstlerin Mierle Laderman Ukeles beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Frage. Sie ist offizielle Artist in Residence bei der New Yorker Stadtreinigung, seit 45 Jahren. Ihre Kunst dreht sich um die Müllabfuhr, genauso wie ums Windelwechseln. Im Rahmen der Gruppenausstellung «Territories of Waste» waren die Arbeiten der 83-Jährigen kürzlich im Museum Tinguely in Basel zu sehen.
Besucher waren schockiert
1969 verfasst Mierle Laderman Ukeles ein Manifest. Darin schreibt sie: «Ich bin eine Künstlerin. Ich bin eine Frau. Ich bin eine Ehefrau. Ich bin eine Mutter. Zufällige Reihenfolge. Ich mache verdammt viel Wäsche, koche, putze, erneuere, unterstütze, erhalte und so fort.» Getrennt davon mache sie Kunst – bis jetzt. «Jetzt werde ich diese alltäglichen Instandhaltungsdinge tun und sie ins Bewusstsein spülen. Ich werde sie als Kunst ausstellen.»
Anfang der 1970er-Jahre putzt die Künstlerin Museumsböden – das Wischen der Böden ist ihr künstlerischer Beitrag zu Ausstellungen. Die Besucher seien schockiert gewesen, erzählt Ukeles.
Genau das ist ihr Ziel: «Normalerweise wird geputzt, wenn die ‹wichtigen Leute› nicht da sind. Dann kommen Arbeiterinnen und bringen den Ort wieder in seinen ursprünglichen Zustand.» Für Ukeles ist es genauso wichtig, das Putzen zu sehen wie die Arbeit im Museum: «Das ist die Kunst. Kommt damit klar!»
8500 Mal Danke
1977 beginnt Mierle Laderman Ukeles als Künstlerin mit der New Yorker Stadtreinigung zu arbeiten. Sie recherchiert eineinhalb Jahre für die spektakuläre Performance «Touch Sanitation», auf Deutsch «Komm in Kontakt mit der Stadtreinigung».
Im Rahmen der Performance begleitet sie jede Arbeitscrew in den 59 Distrikten der Stadt. Sie spricht mit den Arbeiterinnen und Arbeitern, verbringt Zeit mit ihnen – und schüttelt jedem einzelnen der über 8500 Angestellten die Hand. Jeder und jedem sagt sie: «Danke, dass Sie New York City am Leben erhalten.» Das Ganze dauert elf Monate.
Zum Park herausgeputzt
Auch heute, 45 Jahre später, dreht sich Mierle Laderman Ukeles’ Kunst um Care-Arbeit und darum, wie wir mit dem Müll, den wir alle machen, umgehen. Seit langem engagiert sie sich dafür, dass die ehemals grösste Müllhalde der Welt bei New York in einen Park umgewandelt wird. Der «Freshkills Park» wird, wenn er fertig ist, fast dreimal so gross sein wie der Central Park. 2036 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Dass banale Tätigkeiten wie Müll entsorgen, putzen oder Wäsche waschen selbst in den kühnsten Momenten wichtig sind und bleiben, hat sie schon 1969 in ihrem Manifest geschrieben: «Der saure Apfel einer jeden Revolution: Wer wird am Montagmorgen nach der Revolution den Müll abholen?»